Minimalismus und seine spirituelle Dimension

Freiheit haben für das Leben

Bonn - Weniger Besitz, weniger Konsum: Minimalismus ist im Trend. Schwester Jakoba Zöll erkennt darin so manche Parallele zum Leben in ihrer Gemeinschaft. Sie plädiert für das richtige Maß im Leben.

Veröffentlicht am 25.11.2021 – Spiritea

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Lieferengpässe, Papiernot, am Ende kommen noch die Weihnachtsgeschenke zu spät. Eine ganz andere wirtschaftliche Folge der Corona Pandemie, in der wir mitten drin stecken. Haben Sie schon was bestellt und sind auf zwei, drei Wochen vertröstet worden? Und wie sieht Ihre Zeitung aktuell aus? Die meines Konvents ist sehr mager geworden. Unsere Generation ist das überhaupt nicht gewohnt. Nicht zu jedem Zeitpunkt alles nur Erdenkliche zur Verfügung zu haben, mit Prime-Versand des größten Onlineanbieters schon 24 Stunden später das ersehnte Produkt vor unserer Haustüre zu finden.

Da ist es glaube ich kein Zufall, dass in den letzten Jahren ein Lebensstil ziemlich populär geworden ist, der genau das Gegenteil zum Ziel hat, nämlich möglichst wenig zu besitzen, nur das, was wirklich notwendig ist und Freude bringt. Das Ganze nennt sich Minimalismus.

Er bringt den Wunsch, die Sehnsucht zum Ausdruck, in unserem Leben etwas Sinnstiftendes, Tiefes zu finden. Etwas, was wirklich Bedeutung hat, im Angesicht von drohenden Katastrophen, Alltäglichkeit und Tod. Und genau diese Bedeutung haben Dinge, so scheint unsere Generation aus dem Konsumdenken heraus gelernt zu haben, nicht inne. Nicht immer mehr Zeug macht aus dem tiefsten Inneren heraus froh und zufrieden, spendet ein erfülltes Leben. [Das kann freilich nur sagen, wer mit dem zum Leben notwendigen versorgt ist! Solche Gedanken können nur da entstehen und fruchtbar sein, wo freiwilliger Verzicht geübt wird. Das gilt für alle weiteren Ausführungen!]

Menschen statt Dinge

Aber was dann? Die Menschen, die versuchen, minimalistisch zu leben, berichten davon, dass ihnen die Menschen in ihrem Umfeld wieder wertvoller geworden sind und die Zeit, die sie mit ihnen verbringen. Dass sie merken, dass Erfahrungen und Erlebnisse so viel mehr Gewicht haben als jedes neue Möbelstück, Klamotten und so weiter. Die Welt zu entdecken und neugierig zu erkunden, an ihr und all den verschiedenen Menschen auf ihr zu wachsen und die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln, das stiftet Sinn, der bleibt.

Für mich ist es immer wieder überraschend und, zugegeben, richtig schön, dass das, was ich als Zeitgeist beschreiben würde, so wahnsinnig gut zu dem passt, was zu den Grundfesten meiner franziskanischen Art zu leben gehört.

Franz von Assisi
Bild: ©Fotolia.com/jorisvo

Franz von Assisi: Ein Vorbild beim Minimalismus?

Für Franziskus, und auch für Clara, gehört die Armut (in heutigen Worten: mit möglichst wenig zu leben, nur das Nötigste zu besitzen und den materiellen Dingen nur einen untergeordneten Wert zuzusprechen) zu den wichtigsten Erkenntnissen ihres Lebenswegs. Beide wachsen in gut situierten Elternhäusern auf, kennen beide keine finanziellen Sorgen und können sich alles leisten, was sie sich wünschen könnten. Franziskus fällt in eine tiefe Krise, in der ihm plötzlich alles hohl vorkommt. Alle ausschweifenden Feste, seine wertvollen Kleider, sein Rittertum, kommen ihm plötzlich wertlos vor. Er fühlt sich leer, unbedeutend und klein. Und sehnt sich zugleich so sehr nach etwas, was seinem Leben Sinn und Fülle geben kann.

Begegnung mit Menschen am Rand

Alles ändert sich für Franz in der Begegnung mit den Aussätzigen. In der Begegnung mit denen, die nichts haben außer sich selbst, merkt Franz plötzlich, dass es nur das ist, was zählt, was Fülle, Freude und Sinn schenkt. Die Begegnung mit meinen Mitmenschen. Ganz ohne Tamtam, ohne schmückendes Beiwerk, ohne Ämter und Stände, ohne schicke Klamotten und hunderte von Geschenken. Einfach so, von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz. In dieser liebevollen Begegnung erkennt Franziskus seinen Gott, erkennt er die Art wieder, wie Jesus den Menschen begegnet ist. Und gestaltet von diesem Moment an ist sein Leben vollkommen anders.

Für Franziskus stehen materielle Güter zwischen ihm selbst, seinem Gott und den Mitmenschen, also zwischen ihm und allem, was sein Leben sinnvoll und erfüllt machen kann.

Kennen Sie solche Erfahrungen? Ich kann von mir jetzt nicht behaupten, ein so krasses Erlebnis gehabt zu haben wie Franziskus. Oder an Materiellem überhaupt keine Freude mehr zu haben, da reicht schon ein Blick in meine Bücherregale. Aber um diese Extreme geht es auch gar nicht, das richtige Maß muss jede*r für sich selbst entdecken. Genauso wie das Tempo. Ich versuche seit 2 Jahren immer wieder auszusortieren, zu hinterfragen, was von den materiellen Dingen brauche ich eigentlich wirklich? Oder was davon macht mein Leben reicher? Und diese Frage stelle ich mir nicht nur allein, sondern die stellen sich meine Mitschwestern und ich uns auch als Gemeinschaft immer wieder neu. In diesem mich und meinen/unseren Besitz immer wieder neu hinterfragen und reduzieren scheint für mich schon als leise Ahnung auf, dass Franz da Recht haben könnte. Mit weniger Überflüssigem habe ich Hände, Kopf und Herz freier für die Begegnungen mit meinen Mitmenschen und meinem Gott. Klar ist das ein ständiger Work-in-progress, ich lebe lange nicht so wie Franz und Clara. Aber es gibt etwas, wo ich Franz schon jetzt, in meinem unfertigen Suchen, Weggeben und Probieren zustimmen kann: Ein tieferes Gefühl von Sinn, Fülle und Lebensfreude kenne ich nicht, als in den Begegnungen mit leeren Händen, mit meinen Mitmenschen und mit meinem Gott.

von Schwester Jakoba Zöll