"Das Glück der Beschaulichkeit"

Nebel: Licht- und Schattenseiten eines Naturphänomens

Bonn - Wenn die Tage kürzer werden, tritt er wieder vermehrt auf: Nebel. Was die einen – etwa beim Autofahren – nervt, fasziniert andere. Lyrik, Kunst und Wissenschaft: Ein Streifzug durch neblige Gefilde.

Veröffentlicht am 29.11.2021 – Spiritea

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"Seltsam, im Nebel zu wandern! /Einsam ist jeder Busch und Stein,/Kein Baum sieht den andern,/ Jeder ist allein." – Hermann Hesses Gedicht "Im Nebel" ist ein Klassiker der Nebellyrik. Es verwundert nicht, dass es 1905 im November entstanden ist – tritt Nebel doch vermehrt in den letzten, oft trüben Monaten des Jahres auf, besonders in tiefliegenden Regionen und bei Flüssen.

Strenggenommen handelt es sich dabei nicht um ein Wetter-, sondern ein Naturphänomen. Von Nebel ist laut Lexikon des Deutschen Wetterdienstes (DWD) die Rede, "wenn die Sichtweite in Bodennähe unter einen Kilometer absinkt", bei einer relativen Luftfeuchte nahe der Sättigung von 100 Prozent. Die Grundsubstanz von Nebel ist kondensierter Wasserdampf. Die dabei in der Luft schwebenden, feinen Wassertröpfchen sorgen für den fehlenden Weitblick.

Laut DWD-Meteorologe Adrian Leyser steigt die Nebelhäufigkeit von Nord nach Süd und von West nach Ost. In Mittelgebirgen sei Nebel besonders in Mulden- und Tallagen anzutreffen, wo sich Kaltluft und Feuchtigkeit sammelten. Der Gipfel des Brocken im Harz zählt laut Leyser zu den nebelreichsten Orten in Deutschland; stattliche 330 Nebeltage wurden dort im Jahr 1958 verzeichnet.

Im Herbstblues nicht unbedingt förderlich

Kein guter Ort also für Menschen, denen er Anblick der Landschaft im Herbstblues aufs Gemüt schlägt. Ob ein Mensch bei Nebel in eine deprimierte Stimmung verfalle, hängt nach Beobachtung der Münchner Psychiaterin Tatjana Reichhart auch von der individuellen Befindlichkeit ab. "In guter Stimmung wird mich Nebel nicht unbedingt runterziehen." Wer aber ohnehin, vielleicht aufgrund einer behandlungsbedürftigen Depression in schlechter Verfassung sei, der sei beim Anblick einer Nebellandschaft empfänglicher für negative Gedanken. "Dann legt sich meine Stimmung auf die Umwelt."

Bild: ©dpa/Achim Keller (Symbolbild)

Nebel: Die einen finden ihn nervig, die anderen faszinierend.

In eine melancholische Gefühlslage zu geraten, könne aber – etwa bei Künstlern – auch kreatives Potenzial freisetzen, sagt die Ärztin und Therapeutin. Solch eine Stimmung beinhalte etwas "ganz Kreatives und Reichhaltiges". Es schwinge etwas Geheimnisvolles, Tiefgründiges und Düsteres mit – "manchmal ist gerade das interessant". Zudem habe Nebel "etwas sehr Mystisches und verklärt den Blick auf die Welt; viele Fragen bleiben offen".

Nebel als Metapher

Seit jeher inspiriert das winterliche Naturphänomen Dichter, Fotografen, Maler und andere Kunstschaffende. Als allgemeine Metapher steht der Nebel für Unsicherheit, Vergänglichkeit und Orientierungslosigkeit des Menschen. Literatur und Filme arbeiten mit der verfremdenden – mal eher magischen und verwunschenen, aber auch der irritierend undurchsichtigen – Wirkung. Soll es in einem Krimi spannend oder im Horrorfilm gruselig werden, zieht bedrohlicher Nebel auf – etwa im US-Spielfilm "The Fog – Nebel des Grauens" aus dem Jahr 1980.

Das Phänomen hat einen negativen Beigeschmack, wenn man etwa von "benebelt" spricht oder von einer "Nacht-und-Nebel-Aktion". Und es birgt Risiken: In den Bergen oder auf dem Meer orientierungslos in der weißen Masse zu sein, kann zur tödlichen Gefahr werden. Regelmäßig zum Herbst werden Autofahrer zudem ermahnt, bei schlechter Sicht langsam zu fahren und die Nebelschlussleuchte einzuschalten.

"Das Glück der Beschaulichkeit"

Nichtsdestotrotz – Naturliebhaber freuen sich, wenn Nebelschwaden die Welt wieder in einen grauen Schleier hüllen. Wie verzaubert und fast unwirklich scheinen Wiesen, Wald und Täler. Wenn die Welt nur noch schemenhaft zu sehen ist, wird der Mensch zugleich auf sich selbst zurückgeworfen. Viele Betrachter geben sich ihren Gedanken hin – die farblose Nebellandschaft scheint die innere Befindlichkeit perfekt aufzufangen und im Außen zu spiegeln.

"Nebel ist das Glück der Beschaulichkeit", schreibt die Schweizer Lyrikerin Monika Minder, und, in einem anderen Aphorismus: "Ohne durch den Nebel zu gehen, entsteht kein Glück." Für Minder hat der Nebel eine "Pufferfunktion – alles wird ein bisschen leiser". Reizvoll mag der Nebel aus ihrer Sicht vor allem für Zeitgenossen sein, die ihn nicht so häufig erleben. Sie selbst lebt in einer Region, wo das Naturphänomen selten auftaucht. Wer aber an einem Ort mit regelmäßiger "Nebelsuppe" wohne, der finde das bestimmt nicht so toll.

von Angelika Prauß (KNA)