Wie uns unsere Wurzeln Kraft im Leben geben
Osnabrück - Auf ihren täglichen Spaziergängen staunt Maria Anna Leenen über die eindrucksvollen Wurzeln der Bäume, die alles am Laufen halten. Schnell stellt sie sich dabei die Frage, welche Wurzeln sie selbst hat.
Veröffentlicht am 19.04.2022 – SpiriteaHTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Ein Spaziergang mit dem Hund ist für viele Menschen tägliche Routine. So auch für mich. Meine Mastin Espanol Mischlingshündin Cora braucht ihn und ich auch. Zudem ist unsere Gegend selbst bei Regen und Schneematsch einfach schön. Eine unserer Routen führt über einen kleinen, sehr schmalen Weg, der einen Buchenwaldhang durchschneidet. Auf der einen Seite ragen alte, mächtige und stolze Buchen mehr als 30, 40 Meter in den Himmel. Auf der anderen Seite reicht ein Mischwald den Hang hinunter bis zu einer Grünfläche mit Teich und Wildenten. Jedes Mal, wenn wir dort vorbeikommen, staune ich über die Buchenwurzeln. Knollig, stark und reich verästelt, mit Flechten bewachsen und übersät mit winzigen Löchern in den Erdschichten, in denen Wildbienen und Sandwespen nisten, ziehen sie sich entlang des Weges. Ich ahne, dass sie sich über Jahrzehnte längst des Einschnittes gebildet haben müssen. Eines Einschnittes, der ihnen den normalen Verlauf unmöglich machte.
Und doch wuchsen sie weiter, trieben ihre Wurzeln an anderer Stelle tief und tiefer bis ins Grundwasser. So wuchsen sie immer höher in beeindruckender Schönheit. Manchmal, wenn der Frühling seinen Höhepunkt erreicht, kann ich der Versuchung nicht widerstehen. Ich lege mein Ohr an eine Stelle dieser glatten, grau-grünen Buchenrinde. Dann stelle ich mir vor, ich könnte es hören – dieses Rauschen und Fluten der Hektoliter Grundwasser, die gegen die Schwerkraft nach oben gesogen werden. Eigentlich vermitteln Bäume uns Menschen einen eher unbeweglichen, starren Eindruck. Aber was für ein intensives Leben ist in ihnen. Beim Weitergehen dann kann ich nur bewundern, was für ein fantastisches ökologisches System diese Wurzeln sind und was für ein starkes Symbol.

Für Maria Anna Leenen ist der Glaube ihre tiefste Wurzel.
Schnell sind meine Gedanken bei der Frage: Welche Wurzeln habe ich denn? Meine tiefste Wurzel ist mit Sicherheit mein Glaube an Jesus Christus. Seit 1986, meiner radikalen Hinwendung zum Glauben, ist es meine tiefste, stärkste Wurzel. Sie verankert mich in dieser Welt, versorgt mich mit Kraft, Licht und Lebensfreude. Und sie hilft mir anderen Menschen immer wieder im Gespräch zur Verfügung zu stehen. Auch ein Parallele zum Wunderwerk Wurzel und Baum. Denn jeder Baum, ob Buche oder Eiche, ob Holunder oder Wildkirsche hat nicht nur die Wurzeln, die ihn selbst mit dem notwendigen Wasser versorgen. Feinste zarte Wurzelfädchen durchziehen den Boden rund um jeden Baum, verbinden sich mit Pilzen und den Wurzeln anderer Bäume so intensiv, dass sie sich gegenseitig mit Nährstoffen aushelfen, falls ein Baum Mangel erfährt.
Wo zwei oder drei...
Was für ein Bild, was für eine Botschaft sendet uns Menschen da die Schöpfung selbst aus einem so kleinen, umgrenzten Bereich wie einem Wäldchen oder sogar nur da, wo zwei oder drei Bäume zusammenstehen. Es sind fast so etwas wie Handelsnetze oder Hilfsorganisationen, die im Wald vorhanden sind, ohne dass wir Menschen sie sehen oder wahrnehmen. Die großen Buchen oder Eichen, an denen Cora und ich immer wieder vorbeiwandern, sind alt. Manche von ihnen dürften schon über einhundert Jahre lang oder länger an ihrem Ort stehen. Ihre Wurzeln durchwuchsen ebenso lang den Boden und verankerten sich dort immer mehr, immer tiefer, immer widerstandsfähiger. Menschen haben verschiedene Wurzeln, aus denen sie Kraft schöpfen. Für manche ist es die Familie oder eine Arbeit, die ihnen tiefe Lebensfreude und Sinn schenkt. Immer aber sind es keine oberflächlichen Dinge, sondern es sind Wurzeln, die sich mit den Jahren in die Tiefe gruben und so dem Menschen Halt und Sicherheit in seinem Leben schenken.
Mein Glaube hat auch eine Entwicklung hinter sich und wie es zu einer Wurzel gehört, verankert er mich vor allem immer tiefer in der Beziehung zu Christus. Aber mein Glaube ist älter als die mächtigen Buchen oder Eichen in den Wäldern des Artlandes. Er stammt nicht aus der Neuzeit oder dem Mittelalter. Er ist viel älter und seine Wurzelspitze reicht bis tief zur ersten Gotteserfahrung eines Menschen. Für den Apostel Paulus sind Baum und Wurzel ein starkes Gleichnis. Er bezeichnet den Glauben Israels als edlen Ölbaum, in den die ersten Christen als Zweige eingepfropft wurden. Und er begegnet einer schon damals auftretenden Überheblichkeit von einigen Neuchristen mit klarer Ansage: "... so rühme dich nicht gegen die anderen Zweige! Wenn du dich aber rühmst, sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich." (Röm 11,18)
Ohne Wurzeln kein Transport von Nährstoffen. Ohne Wurzeln keine Aufnahme von Kohlendioxyd in den Blättern und im Gegenzug keine Abgabe von Sauerstoff. Ohne Wurzeln keine Blüte und Frucht. Kein buntes Blütenmeer im Frühling, keine köstlichen Äpfel, Birnen oder Kirschen im Sommer. Und ohne die Wurzel des Glaubens bin auch ich ohne die beständige Freude, ohne die Kraft zu helfen, ohne Hoffnung auf ein Leben im ewigen Licht Gottes.
Die Autorin
Maria Anna Leenen lebt seit 1994 als Diözesaneremitin abgeschieden in einem alten Bauernhaus bei Osnabrück. Dazu arbeitet sie als freie Autorin für spirituelle Themen.