
Wie wir Sinn-voll leben können
Wenden - Auch wenn uns das gar nicht bewusst ist, alles ist geprägt von unseren Sinnen, weiß Pater Norbert Cuypers. Er ist sich sicher: Wer auf seine Sinne hört, wird ganzheitlicher leben können – und kann auch Gott näherkommen.
Veröffentlicht am 02.05.2022 – SpiriteaHTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
"Bist du eigentlich von allen Sinnen verlassen?" fragte mich mein Vater in meiner Kindheit, wenn ich wieder einmal etwas angestellt hatte, was ihm nicht behagte. Dass diese Frage kein Kompliment war, verstand ich sofort. Eher war wohl damit gemeint: "Du bist nicht ganz bei Trost, wie kannst du denn nur so handeln?" Heute glaube ich, dass sich in der Frage meines Vaters auch etwas Positives versteckt: Unsere Sinne gehören zu uns und ohne sie kommen wir in unserem Leben ans Schleudern – auch im Glauben.
Denken, reden und handeln: Ja, das können wir Menschen gut. Gerade wir Europäer sind meist im Kopf zu Hause und versuchen, unserem Leben Halt und Richtung zu geben, indem wir es zu strukturieren versuchen und nach Regeln und Vorschriften leben. "Halte die Regel und die Regel wird dich halten" ist eine nicht von der Hand zu weisende Weisheit, die uns als Mensch im Leben weiterbringen kann und uns normalerweise vernünftig handeln lässt. Grundsätzlich stimmt das auch. Allerdings ist das nur die eine Seite der Medaille. Denn wir Menschen haben von Natur aus nicht nur den Verstand mitbekommen, sondern auch unseren Leib, unsere Gefühle und eben auch unsere Sinne. Wir tun gut daran, sie in unserem Leben zu integrieren. Unser eigener Körper weiß nämlich oft viel mehr über unser wahres Wohlbefinden zu sagen als der Verstand und vor allem: Er hat dafür seine ganz eigene Sprache. Wer sich Zeit nimmt, auf ihn zu hören und die Signale unserer Sinne zu verstehen sucht, wird ganzheitlicher leben können. Wenn wir es nicht tun, zwingen wir den eigenen Körper bloß dazu, sich noch deutlicher zu äußern: "Höre auf das Flüstern deines Körpers, bevor er anfängt zu schreien", schreibt Ann Weiser Cornell.

Wir sollten mehr auf unsere Sinne hören, sagt Pater Norbert Cuypers.
Leider wissen auch unser Körper und der Glaube kaum etwas voneinander. So etwas wie eine lebendige Kommunikation zwischen ihnen können wir uns kaum vorstellen. Und doch ist es ja gerade das Christentum, das darauf Wert legt, dass Gott einer von uns geworden ist. "Das Fleisch ist der Angelpunkt allen Heils", schreibt der frühchristliche Theologe Tertullian im zweiten Jahrhundert. Daran denken Christinnen und Christen, wenn wir im Angelus beten: "… und das Wort ist Fleisch geworden." Gott ist Mensch geworden. Der Glaube daran hilft uns allerdings recht wenig, wenn er nicht selbst "in Fleisch und Blut" übergeht, wie es die deutsche Sprache so treffend sagt. Immerhin ist unser Körper der "Tempel des Heiligen Geistes" (1.Kor 3,16) und damit der Wohnort Gottes. So jedenfalls sagt es uns die Heilige Schrift. Deswegen verdient er unseren Respekt und unsere Aufmerksamkeit. Der Kirchenvater Cyrill von Jerusalem mahnte jedenfalls bereits im 4. Jahrhundert seine Schüler: "Dulde keinen, der sagt, unser Körper habe mit Gott nichts zu tun!"
Mit den Sinnen kommen wir Gott näher
Auch unsere fünf Sinne sind Instrumente, die uns gegeben sind, das Leben in seiner ganzen Tiefe zu begreifen und Gott näher zu kommen. Von Natur aus ist der Mensch eben einmal ein sinnlich ausgerichtetes Wesen. In unserem alltäglichen Sprachgebrauch wissen wir das auch. Die Haut des Menschen beispielsweise ist das größte Sinnesorgan des Körpers. Was aber heißt es dann, wenn ein Mensch sagt: "Ich fühle mich nicht mehr wohl in meiner Haut"? Ein anderes Beispiel: Das Sehen ist für viele Menschen der lebenswichtigste Sinn in ihrem Leben. Was aber sagt mir das, wenn ein Freund mir anvertraut: "Ich blicke in meinem Leben nicht mehr durch?" Und noch ein letztes Beispiel: Das Riechen ist ein Sinn des Menschen, auf den er im Alltag nur ungern verzichten möchte. Wie aber deute ich es dann, wenn mir die Kollegin am Arbeitsplatz vorwirft: "Ich kann dich nicht mehr riechen."
Mit unseren Sinnen nehmen wir die Welt wahr, wie sie ist und treten mit ihr in Beziehung. So hören wir das gute Wort, das wir uns selbst nicht sagen können, von anderen. Wir sehen und erkennen uns erst im Anschauen des geliebten Gegenübers. Im Streicheln der Mutter nimmt das Neugeborene den ersten Kontakt mit der Umwelt auf, und durch das Tasten "begreift" schließlich auch der blinde Mensch seine Umwelt. Vor allem aber weist uns der Weg unserer Sinne von außen nach innen. "Die fünf Sinne sind die Stiegen, auf denen die Seele hinausgeht in die Welt und auf denen die Welt zur Seele geht" wusste schon Meister Eckhart, der große Mystiker aus dem 13. Jahrhundert. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir unsere Sinne neu entdecken und sie achtsam pflegen sollten, damit unser Leben im wahrsten Sinne des Wortes "sinn-voll" wird.
Der Autor
Pater Norbert Cuypers ist Ordensmann der Steyler Missionare und lebt als Eremit in einer Einsiedelei im Sauerland.