Warum wir alle besser zuhören sollten
Jerusalem - 95 Prozent der Erwachsenen halten sich für gute Zuhörer. Aber sind wir das wirklich? Wie oft lenkt uns der Lärm des Alltags von den Gedanken anderer ab? Schwester Gabriela Zinkl hat jedenfalls ein ganz besonderes Kaufkriterium für ihre neuen Kopfhörer.
Veröffentlicht am 18.07.2022 – SpiriteaHTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Meine Kopfhörer sind kaputt, das weiche Plastik an den Ohrmuscheln fängt langsam an zu zerbröseln. Also auf zum Kopfhörer-Shopping. Ich stelle fest, dass das alles andere als leicht ist, denn die Auswahl ist riesig. Ob ich den Sound im Ohr, auf dem Ohr, mit oder ohne Kabel, zum Joggen, mit hohem Tragekomfort oder sogar mit Geräuschreduzierung für Lärm von außen haben möchte? Schwer zu sagen; ich würde am liebsten erstmal Probe hören, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Doch das ist nicht so einfach möglich und so quäle ich mich online durch eine Flut von Bewertungen anderer, die vor der gleichen Entscheidung standen wie ich. Dabei ist Hören doch etwas ganz Individuelles, oder haben die anderen vielleicht die gleichen Ohren wie ich? Ja und nein. Die Ohren von uns derzeit fast acht Milliarden Menschen sind zwar gleich aufgebaut, aber äußerlich in winzigen Details doch verschieden, in der Größe, im Anliegen seitlich am Kopf oder im Abstehen. In den letzten Monaten haben wir unsere Ohren sogar in einer ganz ungewohnten Funktion kennen und schätzen gelernt: als Halterung für die Bändchen der Masken.
Hören spielt für uns Menschen eine immens wichtige Rolle, genauso ist es bei den meisten Tieren. Im Gegensatz zu uns sieht man manchen Tieren sogar genau an, wenn sie aufmerksam lauschen: Sie spitzen ihre Ohren, um Geräusche in der Umgebung wahrzunehmen. Das lässt sich wunderbar beobachten beim Fuchs, beim Hasen, beim Reh, bei einer Hauskatze genauso wie bei einer Raubtierkatze. In diesen Momenten geht es den Tieren ums Aufspüren potentieller Beute oder drohender Gefahr. Beim kleinsten bedrohlichen Geräusch gilt es, schnell zu handeln; zack, das Tier verschwindet in die Gegenrichtung, um sich und die Jungen in Sicherheit zu bringen.
Im Lärm des Alltags gehen kleine Geräusche oft unter
Ich bewundere das, die stillen Momente höchster Aufmerksamkeit mit gespitzten Ohren. Denn wir großen, zweibeinigen Tiere in Gottes Schöpfung sind da weitaus weniger aufmerksam. Wir produzieren selbst unheimlich viel Lärm, der nicht nur Tiere stört, vertreibt, ja manches sogar krank macht. Unsere Maschinen, Fabriken, Züge, Flugzeuge und Autos sind laut und nervtötend, auch wenn neuerdings viele Autos dank technischen Fortschritts leise durch die Gegend schnurren. Trotzdem gibt es in unserer Zivilisation mehr Lärm als je zuvor, sodass das Zwitschern der Vögel oder das Klappern des Storchs meistens untergehen. Die leisen Töne werden von den lauten gnadenlos übertönt. Ganz anders sind dagegen die Klänge, die bei uns gute Stimmung auslösen in Form von Musik, egal ob aus dem Kopfhörer, Autoradio, Lautsprecher oder live, mit oder ohne Verstärker, vielleicht sogar selbstgemacht, gespielt oder gesungen. Was meine neuen Kopfhörer wohl alles für störende Geräusche von mir fernhalten werden? Mal sehen, oder besser, mal hören.
Lisa, eine Bekannte von mir, gibt ehrenamtlich Deutschkurse für Migrantinnen und Migranten. Besonders gern mag sie die Lerneinheit zum Thema "Hören", wenn die Lerngruppe alle Wörter sammelt und ausprobiert, die zu diesem Wortfeld gehören: hinhören, zuhören, anhören, reinhören, aufhören, mithören, sich verhören. Hören, besonders das Zuhören, sind Schlüsselbegriffe für unsere menschliche Kommunikation. Wer nicht hören kann oder wer immer schwächer hört, fühlt sich vom sozialen Miteinander ausgegrenzt. Damit verbunden ist oft, dass man sich und seine Bedürfnisse und Wünsche den anderen nicht mehr artikulieren kann – außer beide beherrschen die Gebärdensprache oder man selbst hat ein Hörgerät.
Ist man selbst ein guter Zuhörer?
95 Prozent der Erwachsenen halten sich Umfragen zufolge für gute Zuhörerinnen und Zuhörer. In der Realität sieht das aber wohl ganz anders aus. Ich selbst bin da kein Ausnahme, mal habe ich zu wenig Zeit zum Zuhören, mal interessiert mich das Gefasel des anderen gar nicht und eigentlich möchte ich doch viel lieber meine eigene Meinung kundtun und nicht immer nur die anderen zur Wort kommen lassen. Nicht zuletzt gerate ich beim Zuhören oft genug in die Falle, dass ich in Gedanken meine eigene Antwort vorbereite, während die andere Partei noch spricht. So verpasse ich dann den Rest von dem, was die andere Person mir sagen will.
Dem und der anderen aufmerksam zuhören, dafür sind Kopfhörer nicht unbedingt förderlich. Vom verstorbenen Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, Frère Roger Schutz, gibt es ein berührendes Video, in dem er über das Zuhören spricht. Er hält dabei seine Hand ans Ohr, um die Bedeutung dieses Tuns zu unterstreichen. "Was wünschen wir denen, die hierher kommen, am meisten? Wir möchten, dass jemand ihnen zuhört, dass jemand für sie da ist – ohne ihnen gute Ratschläge und Anweisungen zu geben, nein! Wir möchten, dass ihnen jemand zuhört und sie in Liebe versteht, damit in uns und in jedem Menschen durchbricht, was wir nicht wussten..."
Nehme ich jetzt also besser Kopfhörer im Ohr oder übers Ohr? Am besten solche, die mich daran erinnern, dass ich sie rechtzeitig abnehme, um jemandem zuzuhören, der mit mir sprechen möchte.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.