Raus aus dem gewohnten Trott

Warum wir den Sommer auch zu Hause genießen können

Bonn - Überfüllte Züge, lange Wartezeiten an deutschen Flughäfen, hohe Spritpreise – in diesem Sommer wird einem das Urlauben ganz schön verleidet. Doch es muss nicht immer das weite Ziel sein: Warum nicht zu Hause bleiben und dort entspannen?

Veröffentlicht am 08.08.2022 – Spiritea

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"Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?" lautet ein deutsches Sprichwort. In Zeiten von Unwägbarkeiten durch Klimakrise, Ukraine-Krieg, Inflation und Chaos an Bahnhöfen und Flughäfen mag so mancher froh sein, in diesen Sommer gar nicht zu verreisen. Wer frustriert mit gepackten Koffern vom Airport zurückkommt, weil der ersehnte Urlaubsflug kurzfristig gestrichen wurde, wird dem zwar zunächst wenig abgewinnen. Dennoch können auch Urlaubstage zu Hause – freiwillig oder erzwungen – entspannend sein.

Die Seele baumeln lassen, in den Tag hineinleben, ohne Verpflichtungen sein – das kann man eigentlich auch dort, an freien Tagen sogar ganz ohne Urlaub. Warum nicht gemütlich in der Morgensonne im netten Cafe frühstücken und Leute beobachten, ohne Zeitdruck seine Bahnen im Freibad ziehen, mit dem dicken Schmöker auf der Liege in andere Welten eintauchen oder neue Wege in der Umgebung erkunden? Ob man sich auch zu Hause entspannen kann, scheint reine Kopfsache zu sein. Denn das vertraute Umfeld wird meist vor allem als Ort von Erledigungen und Routinen wahrgenommen, nicht als Raum für Muße und Erholung.

Was man im Urlaub tut, geht auch zu Hause

Harriet Köhler, Autorin des 2019 erschienenen Buches "Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben", plädiert beim Urlaub zu Hause für einen Perspektivwechsel: "Wenn man neugierig ist und wenn es einem gelingt, den Blick, den man als Reisender in der Ferne hat, auch auf seine nähere Umgebung anzuwenden und dort genauso offen und neugierig ist, dann kann das genauso spannend sein wie ein ganz exotisches Reiseziel" sagte sie im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Köhler nennt als Beispiel eine Führung durch die eigene Stadt oder das eigene Viertel. Um aus dem gewohnten Trott rauszukommen, könne es helfen, "zu Hause die Sachen zu machen, die man sonst nur im Urlaub tun würde" – etwa Mittagessen in einem besonderen Restaurant.

Um in ein neues Lebensgefühl zu gelangen, scheint es für viele dennoch kein besseres Mittel als einen Ortswechsel zu geben, quasi als Gegenentwurf zu vertrauten Gesichtern, Orten und Routinen. Dabei bleibe die angestrebte Erholung oft auf der Strecke, sagt der Berliner Tourismusforscher Hasso Spode. Er spricht von einem "Placebo-Effekt der Erholung" – zurück im Alltag sei diese spätestens nach zwei Wochen futsch, "egal, wie lange man verreist ist".

In seinem neuen Buch befasst er sich auch mit dem Sinn des Urlaubens. Er verweist darauf, dass Menschen erst im 18. Jahrhundert – im Zuge der Frühromantik – ohne triftigen Grund zu reisen anfingen. Im 19. Jahrhundert habe das Bürgertum dann "nachträgliche Begründungen" zur Legitimierung angeführt wie die "Regeneration" zur Wiederherstellung der Arbeitskraft. Für Spode ist Urlaub aber vor allem "reiner Konsum von Erlebnissen und Symbolen".

Ein Wanderschuh steht auf einem Felsen.
Bild: ©Sandra Zuerlein/Fotolia.com (Symbolbild)

Um Neues zu erkunden, müssen Urlauber nicht immer weit hinaus fahren.

Zugleich sieht er tiefere Gründe, warum Menschen nach diesen Zeiten lechzen. "Wir brauchen solche Auszeiten, um das Leben überhaupt bewältigen und aushalten zu können." Neben profanen Alltagszeiten gebe es in allen Kulturen besondere, "heilige" Zeiten, die aus dem grauen Einerlei hervorstechen wie Feste und eben Urlaube. Ein Problem sei, dass für die meisten Menschen bei Ferien zu Hause "kein Tapetenwechsel" möglich sei. So sei auch der große Reise-Nachholbedarf nach Corona zu erklären. "Die Menschen haben gelitten, weil sie nicht ihre heilige Auszeit bekamen; jetzt buchen sie wie die Verrückten."

Sympathisch ist für Spode der Literat Theodor Fontane, der viele Touren im Umland von Berlin unternommen habe, literarisch aufbereitet in den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg". Wissenswertes über die Region und zugleich Schilderungen intensiven Naturerlebens seien dort vergnüglich festgehalten. Offenbar hatte Fontane das verinnerlicht, was viele Achtsamkeitslehrer erschöpften und gestressten Zeitgenossen heute immer wieder nahelegen: mit allen Sinnen ganz im Hier und Jetzt zu sein.

Ausschalten unseres eigenen Autopiloten

Dass wir im Alltag blind für die Schönheit vor der eigenen Haustüre sind, liegt nach Ansicht der Wachtberger Achtsamkeitslehrerin Tanja Büchel-Bogut "an unserem wunderbaren Autopiloten", der das Alltagsleben sehr erleichtert. Durch ihn gehe das Leben schneller, rationaler, effektiver; zudem spare das Gehirn durch vertraute Routinen und Orte eine Menge wertvolle Energie. "Leider entgehen uns dadurch jedoch häufig die wirklich schönen, herrlich duftenden, wohl schmeckenden und heilsamen Dinge und Momente", findet Büchel-Bogut.

Warum aber meinen wir, andernorts besser abschalten zu können? Für die Achtsamkeitslehrerin liegt es auch daran, "dass wir uns im Urlaub offiziell die Erlaubnis erteilen, uns auszuruhen, zu entspannen und uns für neue Erfahrungen und Eindrücke zu öffnen". Zudem seien die menschlichen Sinne in der neuen Umgebung vielen anderen Reizen – Geschmäckern, Düften, Wetterverhältnissen, Sprachen ausgesetzt. Dies helfe, langsamer und bewusster durch den Tag zu gehen und "sozusagen im Müßiggang das Leben zu genießen".

Damit ein Urlaub im vertrauten Umfeld gelingen kann, sollte man sehr bewusst einen Gang herunterschalten, um im Entspannungsmodus anzukommen "und dann mit allen Sinnen, neugierig auf Erkundungsreise gehen": ein außergewöhnliches Kochrezept ausprobieren, sich etwas Ungewöhnliches trauen, neue Gewohnheiten und Gedanken ins Leben lassen. "So gelingen vielleicht sogar immer mehr Momente von Urlaub im Alltag."

von Angelika Prauß (KNA)