Jede und jeder hat einen Namen
Jerusalem - Wissen Sie, wie Sie zu Ihrem Namen gekommen sind? Wenn nicht, wird es höchste Zeit, das nachzufragen. Egal, aus welchem Motiv er gewählt wurde: Unser Vorname begleitet uns unser ganzes Leben lang – und zeichnet uns aus.
Veröffentlicht am 10.10.2022 – SpiriteaHTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Wenn man neue Sprache lernt, gibt eine Frage, die man so gut wie überall mit den ersten neuen Worten einübt: "Wie heißt du?" Diese Frage ist wie ein Türöffner, den sie lässt uns mit fremden, unbekannten Menschen ganz einfach in Kontakt treten und kommunizieren.
Jeder Mensch hat einen Namen. Dadurch ist jede und jeder unverwechselbar und ansprechbar. Wir bekommen unseren Namen am Lebensbeginn und tragen ihn bis zum Lebensende, er steht auf unserem Grab(stein) geschrieben. So wie unser Leben ist auch unser Name, genauer unser Vorname ein "Geschenk". Denn wir suchen ihn uns nicht aus – dazu sind wir zum Zeitpunkt der Namensgebung nämlich noch zu klein und nicht sprachfähig. Jemand anderes wählt diesen Namen für uns aus, der uns dann das ganze Leben begleiten wird, ob wir wollen oder nicht. Im Normalfall treffen die Eltern die Wahl über den Namen ihres Kindes, in anderen Fällen sind es diejenigen, die für die Betreuung und Pflege des Kindes verantwortlich sind. Jeder hat heute einen Namen, egal woher er oder sie kommt. Auch Mowgli, das sagenhafte Kind, das aus dem Dschungel kam, oder der legendäre Kaspar Hauser, eine Junge, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Nürnberg wie aus dem Nichts auftauchte, erhielten früher oder später einen Namen.
Wie man zu seinem Namen kommt
Weiß ich denn selbst, wie ich zu meinem Namen gekommen bin? Wenn nicht, dann ist es höchste Zeit, die eigenen Eltern oder Großeltern oder diejenigen, die sich noch daran erinnern, danach zu fragen, warum ich so heiße und nicht anders. Für die Wahl eines Namens gibt es unterschiedliche Motive, das gilt für das Aussuchen des Namens für ein neugeborenes Kind genauso wie für den Namen, den man einem Teddybären, einer Puppe oder einem Haustier gibt. Vielleicht erinnert der Name die Namensgeber an einen lieben, besonderen oder vorbildlichen Menschen, aus der eigenen Familie, dem Freundeskreis oder aus der großen weiten Welt. Manche verbinden mit der Namenswahl einen schönen Ort oder eine besondere Begebenheit. Und nicht wenige lassen sich heute von Kosmopolität und Globalisierung leiten, sodass der Name international verständlich und leicht aussprechbar sein sollte, damit der Person, die diesen Namen trägt, alle Möglichkeiten der Welt offenstehen.
Emilia, Mia, Hannah, Sophia und Emma führen derzeit im Jahr 2022 die Rangliste der beliebtesten Mädchen für Neugeborene an, bei den Jungen sind es Matteo, Noah, Finna, Elias, und Emil. 60 Jahre zurück sah das noch völlig anders aus: Susanne, Andrea, Sabine, Petra und Birgit oder Thomas, Michael, Andreas, Frank und Stefan heißen heute viele unserer Eltern, Großeltern oder Vorgesetzten dieser Generation. Aus der Namenswahl einer Generation für ihre Kinder kann die Soziologie gesellschaftliche Entwicklungen ablesen.
Für alle Getauften, besonders in der katholischen Kirche, hat der Name bei allen Finessen der Namensgebung eine herausragende Bedeutung. Mit dem Namen ist ein eigener Festtag verbunden, der jedes Jahr am gleichen Tag wiederkehrt: der Namenstag. Normalerweise hat jeder christliche Name, den man bei der Taufe erhält, eine besondere Bedeutung. In vielen Fällen hat ihn eine besondere Person getragen, die zum Beispiel in der Bibel genannt wird oder ein Heiliger oder eine Heilige gewesen ist. Deshalb hat der Name dieser Person in der Tradition der katholischen Kirche eine so wichtige Bedeutung erlangt, dass die Kirche ihren Namen einmal im Jahr feiert. Das ist nicht nur eine schöne christliche Idee, sondern vor allem eine wunderbare Tradition und Wertschätzung meiner Person und meines Namens: "Wie schön, dass es dich gibt und dass du bei deiner Taufe diesen einzigartigen Namen erhalten hast! Du bist etwas Besonders und so angenommen und geliebt, wie du bist!"
Die Tradition, dass Christen ihre Kinder nach Heiligen benennen, hat ihren Ursprung übrigens schon im vierten Jahrhundert. Der Kirchenlehrer Johannes Chrysostomus empfahl damals, sich bei der Namenswahl an christlichen Märtyrern zu orientieren. Auf diese Weise erklärte man den jeweiligen Heiligen zum Vorbild für die nach ihm benannte Person und erhoffte sich durch diese Namenswahl Kraft und Stärke für das eigene Leben, nicht zuletzt als Christ und Christin. Ab dem Mittelalter wurde es üblich, einem Kind bei der Taufe den Namen des jeweiligen Tagesheiligen zu geben. Namenstag und Tauftag fielen damit zusammen. Das Datum der Geburt wurde oft gar nicht vermerkt. Während der Reformation im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Namenstag genutzt, um sich von den Protestanten abzugrenzen. Der Römische Katechismus forderte damals, die Namen von Heiligen bei der Namenswahl vorzuziehen. Bis in die 1960er Jahre hatte der Namenstag bei Katholiken einen hohen Stellenwert. In vielen Familien wurde nicht der Geburtstag gefeiert, sondern der Namenstag. Inzwischen hat der Geburtstag dem Namenstag in der westlichen Welt den Rang abgelaufen – auch bei Katholiken. In einigen Regionen und Ländern wird er aber nach wie vor gefeiert, zu Teil sogar wiederbelebt. Es gibt jeden Tag unzählige Jahrestage im Kalender. Unter all ihnen ragt der persönliche Namenstag umso mehr heraus. Einmal mehr gilt: Man sollte die Feste feiern, wie sie fallen!
Jeder Mensch ist ein Geschenk
Die meisten Menschen tragen ihren Namen selbstverständlich, ganz bewusst, vielleicht auch mit ein bisschen Stolz. Mein Name macht zusammen mit meinem Äußeren und meinem Charakter meine unverwechselbare Persönlichkeit aus. Habe ich schon einmal in den Spiegel geschaut und mich mit meinem eigenen Namen begrüßt? – Das ist eine Übung, die es wert ist, sie einmal auszuprobieren. Sie wird bei jedem und jeder anders ausfallen, ganz individuell eben.
Jede und jede hat einen besonderen, einmaligen, schönen Namen. Deshalb ist jeder Mensch ein Geschenk, sagt uns die israelische Dichterin Zelda Schneersohn Mishkovski (1914-1984) mit wunderbaren Worten:
Jeder Mensch hat einen Namen, den Gott ihm gegeben, den Vater und Mutter ihm gegeben. Jeder Mensch hat einen Namen, den seine Gestalt und sein Lächeln ihm geben. Jeder Mensch hat einen Namen, den das Gebirge ihm gibt, und die Wände, in denen er lebt. Jeder Mensch hat einen Namen, den seine Sünde ihm gibt und die Sehnsucht, die sein Leben prägt. Jeder Mensch hat einen Namen, den seine Feinde ihm geben und dein seine Liebe ihm gibt. Jeder Mensch hat einen eigenen Namen, den das Meer ihm gibt und schließlich auch der eigene Tod.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.