
Und Tschüss? Der wahre Wert von Abschiedsworten
Jerusalem - Wie haben Sie sich heute Morgen von Ihren Liebsten verabschiedet? Oft sind Abschiedsworte nur Floskeln, schreibt Schwester Gabriela Zink. Man sieht sich ja schnell wieder. Doch sind das nicht leere Abschiede – weil jeder der letzte sein könnte?
Veröffentlicht am 24.10.2022 – SpiriteaHTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Anstehen an der Supermarktkasse, es dauert. Zwischen dem Piepsen der Warenscanner, den Geräuschen der Einkaufswagen und dem Rascheln von Einkaufstaschen ertönt immer wieder derselbe Satz: „Einen schönen Tag noch!“ Die Mitarbeiter an den Kassen sind offensichtlich auf diese Abschiedsfloskel getrimmt und geben sie am Ende des Einkaufs jedem Kunden mit auf dem Weg. Das funktioniert automatisch, fast wie vom Band abgespult. Was soll man da antworten als Kundin und Kunde? Soll man darauf überhaupt eine Antwort geben? Die meisten gehen tatsächlich wortlos weg, überhören den Gruß, weil sie noch mit dem Einpacken ihrer Einkäufe beschäftigt sind oder schnell weggehen. „Danke, ebenfalls“, wäre eine Lösung. Ein „Das wünsche ich Ihnen auch!“ würde wohl jede Servicekraft an der Kasse kurz innehalten lassen und zum Strahlen bringen – so selten kommt es vor, dass jemand auf diese Weise zurückgrüßt. Für eine besondere Antwort wie diese im anonymen Supermarkt oder ähnlichen Situationen braucht es eine Menge an Einfühlungsvermögen des Gegenübers. Wer hat das schon, noch dazu gegenüber völlig Fremden, mit denen man nicht näher zu tun hat? Persönlich werden mit jemand Unbekannten? – Lieber nicht. So bleiben die höflichen, vielleicht antrainierten Worte der Kassiererin und vieler anderer, denen wir im Alltag begegnen, unbeantwortet stehen, hundert Mal am Tag.
Auf Wiedersehen. Tschüss. Tschau. Ade. Bis bald. Bis irgendwann. Bis demnächst. Bis morgen … Auch wir selbst spulen solche Abschiedsworte oft wie eine Floskel ab, zum Beispiel jedes Mal wenn wir am Ende des Arbeitstages nach Hause gehen und die Kollegin, den Kollegen, die uns beim Rausgehen begegnen, grüßen und uns von ihnen verabschieden. Das ist tägliche Routine, deshalb werden in der Regel nur ein paar Standardworte gewechselt, unverbindlich. Was soll man auch groß sagen, es ist doch jedes Mal das Gleiche? Das stimmt und stimmt doch wieder auch nicht.
Ein Ritual
Bei den alltäglichen Abschieden von unseren Lieben sieht es nämlich etwas anders aus, da sind wir aufmerksamer und verhalten uns liebevoller, meistens zumindest. "Tschüss, hab' dich lieb!", ist reserviert für eilige Abschiede von Mami, Papi, von den eigenen Kindern und den Liebsten. Und es ist allen klar: Man weiß, man sieht sich ja schon bald wieder, in wenigen Stunden, spätestens am Abend oder in wenigen Tagen, bis man wieder nach Hause kommt; man ist ja nicht aus der Welt. Wird das Ganze noch mit einem kleinen Abschiedskuss abgerundet, dann wird daraus ein persönliches Ritual, das unsere Beziehung zu diesen lieben Menschen entscheidend prägt.

Wie verabschieden Sie sich von Ihren Liebsten?
Noch intensiver wird es bei den großen Abschieden, wenn man weiß, dass man die vertraute Person lange Zeit nicht sehen wird. Ade. Lebe wohl! Mach's gut! Bleiben Sie gesund! Passen Sie gut auf sich auf! – All das passt immer und überall, ist kurz und bündig und tut nicht weh, ganz im Sinne des Schriftstellers Theodor Fontane (1819-1898), der formulierte, "Abschiedsworte müssen kurz sein wie Liebeserklärungen" und dies auch seine bekannte Romanfigur Effi Briest beherzigen ließ. Trotzdem kochen bei großen Abschieden unsere Emotionen hoch, ob wir es wollen oder nicht. Da kann die Abschiedsrede für den Kollegen, die Chefin oder den Gast noch so gut vorbereitet sein, da kann man sich auf dem Weg zu Bahnhof noch so viele Worte für den geliebten Partner ausmalen, im entscheidenden Moment stehen wir wie belämmert da und möchten am liebsten weglaufen. Manche tun das und verabschieden sich wortlos. Viele andere ringen um die richtigen Worte zum Abschied, wohlwissend, dass sie dem und der anderen lange im Gedächtnis bleiben werden genauso wie umgekehrt. Was hat er nochmal am Schluss zu mir gesagt? Wie hat sie mich bei diesen Worten angeschaut? – Gerade deshalb sollten unsere Abschiedsworte sorgsam gewählt und gesprochen sein. "Überleg dir gut, was du tust", hat mir jemand mit auf den Weg gegeben, als ich ins Kloster eingetreten bin – bis heute klingt mir der mahnende Tonfall dieser Worte im Ohr.
Und auch das gibt es: Oft gehen wir morgens aus dem Haus, haben uns mehr oder weniger liebevoll verabschiedet, vielleicht sogar mit wütendem Tonfall. Schließlich waren wir ja zu spät dran, der Wecker läutete zu spät, der Kaffee war zu heiß und dann reichen Kleinigkeiten, dass wir unser Gegenüber schon zu früher Morgenstunde angiften. Das Problem des nicht geleerten Mülleimers zählt sicher zu den Klassikern solcher unglücklichen Konversationen. Also schnell die Tür zu machen und nichts wie weg. Und tschüss! Das ist alles andere als ein Abschied, der Liebe und dem Mitgefühl zwischen uns Menschen gerecht wird.
Irgendwann ist es das letzte Mal
In der Tat passiert uns das viel zu oft. Sich so zu trennen, ist leichtfertig. Denn wir wissen nicht, ob es nicht vielleicht das letzte Mal ist, dass wir unseren Partner, unsere Ehefrau, unsere Kinder, unsere Großeltern oder andere sehen. In bester Absicht denken wir, dass alles einfach so weiterlaufen wird, ob mit oder ohne Gottes Hilfe. Was soll schon groß passieren? Doch es kann auch ganz anders kommen. Wie es einem geht, wenn man plötzlich in Lebensgefahr ist und sich von seinen Lieben noch in letzter Minute verabschieden will, zeigen eindrücklich Audio-Mitschnitte von letzten Anrufen der Menschen, die am 11. September 2001 beim Terroranschlag auf die Twin-Towers in New York ums Leben gekommen sind.
Lauscht man den letzten Worten der Anrufer an ihre Lieben, Ehepartner, Kinder, Freunde, Eltern, dann stellt sich mindestens Gänsehaut ein, nicht wenigen kommen die Tränen, erst recht den direkt betroffenen Angehörigen, die die Nachrichten auf ihren Anrufbeantwortern immer und immer wieder abspielten. Wir sollten uns an die eigene Nase fassen. Gehen nicht auch wir an manchen Tagen achtlos und grußlos von lieben Menschen weg? Was ist das für ein leerer Abschied? Dessen sollten wir uns bewusst sein, jeden Tag, bei jedem Abschied: dass wir achtsam und einfühlsam sind füreinander und uns liebevoll verabschieden. Denn es könnte ja das letzte Mal sein.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.