Eine unangenehme Situation – außer im Advent

Warten – vertane oder sinnvolle Zeit?

Jerusalem - Eigentlich ist das ganze Leben ein Wartezimmer, schreibt Schwester Gabriela Zinkl – für viele ist das eine unangenehme Situation. Aber im Advent ist es anders, da steht das Warten im Mittelpunkt. Doch worauf warten wir eigentlich?

Veröffentlicht am 05.12.2022 – Spiritea

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An der Bushaltestelle, am Bahnsteig, an der Supermarktkasse, an Ampeln und im Stau. Auf den Handwerker, den Märchenprinzen, die Antwortmail, das Paket vom letzten Online-Einkauf. Auf den Führerschein, die große Liebe oder die Rente. Im Leben wartet man auf so einiges. Eigentlich ist das ganze Leben ein Wartezimmer, zwischen "Wann geht es endlich los?", "Wann sind wir endlich da?" und "Wann muss ich gehen?" leben und warten wir.

Warten ist für die meisten von uns eine schwierige, ja unangenehme Angelegenheit. Wer wartet schon gern? Warten zu müssen bringt uns in eine unfreiwillige Situation, die wir nicht wirklich beeinflussen können. Wohl oder übel müssen wir warten, meistens auf jemand anderen, der zu spät kommt. Vor allem unvorhergesehenes Warten passt uns nicht in den Kram, das geht schon los, wenn der Browser die Website viel zu langsam lädt. Warten ist ein Zustand oder besser gesagt: die Zeit zwischen zwei Zuständen. Zwischen unerledigt und erledigt. Weil jede Verschiebung und jedes Warten unsere eng getakteten Pläne und Termine durcheinanderbringen, löst es bei vielen von uns so starke Emotionen aus. Sekundenschnell kriecht er dann in uns hoch, der Frust, die Enttäuschung – wir sind das arme Opfer, man lässt uns im Stich. Viel zu wenig denken wir daran, wie es für die andere Seite ist, wenn sie auf uns warten muss. Das kommt ja nicht eben selten vor, denn wir selbst sind keine Unschuldslämmer, im Gegenteil.

Alles soll nach Plan laufen

Am liebsten würden wir gar nicht warten, richtig? Am liebsten wäre es uns, wenn also genauso läuft, wie wir es selbst geplant haben. Aus diesem Grund haben wir ein Sammelsurium an Kalendern, Apps und Erinnerungsmitteilungen aller Art. Und funktioniert unser Zeitplan nicht reibungslos, viel zu oft kommt unseren Terminen und Vorhaben eine unnötige Wartezeit dazwischen. Dabei sind wir doch dank Smartphone und Smartwatch immer und überall erreichbar, außer im Funkloch. Unsere kleinen technischen Helfer wollen unsere Zeit sinnvoll managen, Verspätungen und unnötige Wartzeiten um jeden Preis vermeiden. Navigationssysteme berechnen unsere Ankunftszeit minutengenau, kalkulieren Staus in Echtzeit und suchen für uns die besten Abkürzungen und Strategien, damit wir doch noch pünktlich ankommen. Wenn das dann wegen anderer Umstände, die das Navi leider nicht voraussehen konnte, nicht klappt – ja Himmel, dann rufen wir halt den anderen an und sagen ihm oder ihr, wir sind gleich da. Wir versprechen scheinheilig, gleich da zu sein, schaffen es aber nicht, weil …, ja weil wir wieder mal zu spät aufgestanden oder viel zu spät losgefahren sind und noch schnell dies und das erledigen mussten, bevor die Welt untergeht. Und dann muss der oder die andere auf uns warten, noch dazu kommt unsere Information dazu viel spät, wir rufen dann in letzter Minute noch schnell an und schieben die lieben Umstände vor. Wer ist jetzt nochmal das arme Opfer, das unnötig warten muss?

Eigentlich ist die Sache glasklar: Warten ist nicht schön, Warten ist Stress. Aber: Was uns beim Warten am meisten in Stress versetzt, ist nicht der anstehende Termin, sondern wir selbst. Oft sind wir in unseren Gedanken schon einen Schritt weiter, denken darüber nach, was es noch alles zu tun gibt und was man während der unnötigen Wartezeit alles hätte erledigen können. Das ist nicht gerade motivierend, sondern leider ziemlich frustrierend.

Junge vor weihnachtlichem Schaufenster
Bild: ©Adobe-Stock/Maria Sbytova (Symbolbild)

Worauf warten wir im Advent?

Im Advent ist das anders, zumindest ein bisschen. Der Advent, die vier Wochen vor dem Weihnachtsfest, ist für die meisten eine wunderschöne Zeit. Wir entwickeln von klein auf eine Sehnsucht nach den damit verbundenen gemeinschaftlichen Ritualen und der besonderen Atmosphäre. Im Advent zelebrieren wir das Warten richtiggehend, wir machen es uns schön kuschelig. Im Adventskalender wird jeden Tag ein Türchen geöffnet, hinter dem sich eine (süße) Überraschung oder ein motivierendes Zitat verbirgt; Weihnachtsplätzchen, Glühwein, der Duft von Mandarinen und der Klang des Nussknackers machen uns die 24 Tage Wartezeit bis Weihnachten so angenehm wie möglich. Wenn das Warten doch immer so schön wäre wie im Advent!

Das Warten auf den versprochenen Erlöser

Worauf warten wir nochmal im Advent, zwischen all den Zimtsternen, Lebkuchen und Weihnachtsmusik-Playlists, die spätestens ab Anfang Dezember rauf und runtergespielt werden? Worauf warte ich ganz konkret? Damals zur Zeit Jesu vor mehr als 2.000 Jahren wartete das Volk Israel sehnsüchtig auf den seit langem versprochenen Erlöser. Die Menschen litten unter der Willkürherrschaft der Mächtigen und der demütigenden Besatzungsmacht der Römer und hofften auf jemanden, der sie davon befreien würde. Doch es kam ganz anders. Jesus, dessen erstaunliche Lebensgeschichte bis heute weitererzählt wird, wurde in einem Stall geboren. Keiner hat ihn dort erwartet, niemand hat mit so etwas gerechnet, damals wie heute. Lohnt es sich denn, auf jemand so Unscheinbaren zu warten? Anders als erwartet, hatte Jesus kein Feuerschwert dabei und sagte niemandem den Kampf an, stattdessen predigte er von Liebe, Versöhnung und Frieden, vor allem setzte er das in seinem Tun ganz konkret um. Die Not der Welt hat er nicht beendet, wie soll das auch einer allein lösen können? Stattdessen kam er mit einem Angebot, das man nicht ausschlagen kann: "Seht, ich mache alles neu" (Offenbarung 21,5); "seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden ein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. ER wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal" (Offenbarung 21,4).  

Das Angebot Jesu steht bis heute, unverändert. Alle Geschenke, die wir in diesen Wochen in buntes Papier packen, sind ein Zeichen dafür. Darum geht es doch bei allen liebevollen Aufmerksamkeiten und dem Leuchten der Kerzen in der dunklen Zeit zur Vorbereitung auf das Geburtsfest Jesu: Das Warten ist nicht vergeblich. Warten macht Sinn. Der Advent, die Zeit, in der wir uns auf das Kommen Jesu in unsere Welt vorbereiten, ruft uns genau das in Erinnerung: Da ist einer, der wartet auf uns, bis wir uns an ihn erinnern, bis wir ihm die Tür aufmachen, bis wir Zeit für ihn haben. Er ist immer da für uns und wartet darauf, dass wir sein Angebot annehmen und es in unserem Leben umsetzen.

von Schwester Maria Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über  Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.