Vom Schenken und Beschenktwerden
Jerusalem - Ein kleiner Wirbelsturm fegte vor ein paar Tagen durch das Kloster von Schwester Gabriela Zinkl und zeigte ihr erneut, wie schön ein von Herzen kommendes Geschenk sein kann. Denn beim Schenken geht es keinesfalls um einen ökonomischen Tausch.
Veröffentlicht am 09.01.2023 – SpiriteaHTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Vor ein paar Tagen fegte eine kleiner Wirbelsturm durch unser Refektorium, so heißt das Esszimmer oder der Speisesaal in einem Kloster. Und ganz wie Wirbelstürme das so an sich haben, hat dieser Wirbelsturm, es waren sogar zwei, so einiges bei uns in der Schwesterngemeinschaft durcheinander gebracht. Bis heute sind die Spuren unübersehbar, vor allem auf dem großen Esstisch, genauso aber auch in den Herzen aller sieben Schwestern unserer Hausgemeinschaft.
Sterne und Herzen
Was ist passiert? Wenige Tage nach Weihnachten stürzten plötzlich zwei Mädchen in unseren klösterlich-einfachen Speiseraum, als wir gerade beim Abendessen waren. Sarah und Anna, 8 und 10 Jahre alt, machten bei unserem Anblick nicht weniger große Augen als wir in diesem Moment. Da standen zwei afrikanisch-bayerische Wirbelwinde vor uns, die mit ihrer Familie aus Deutschland und Kenia eine Reise ins Heilige Land machten und erst wenige Stunden vorher in unserem Gästehaus in Jerusalem angekommen waren. Mir nichts, dir nichts zauberten sie zwei Tüten hervor und schütteten jeder Schwester kleine Sterne und Herzen aus Holz in die Hand. Gleichzeitig erzählten sie uns, dass sie diese Geschenke selbst ausgesägt und angemalt hatten. Als jede Schwester versorgt war, verabschiedeten sie sich freundlich und verschwanden genauso schnell wieder wie sie hereingekommen waren. Wir Ordensschwestern blieben staunend, jede mit einer Hand voller Sterne und teils mit offenem Mund zurück und konnten dieses kleine Glück kaum fassen. Einen Moment später brach es uns heraus und wir bestaunten diese wunderbaren kleinen Geschenke und breiteten sie voller Freude auf unserem Esstisch aus, wo sie mehrere Tage zur schönsten Weihnachtsdekoration des Jahres wurden und schließlich sorgfältig in einer Schachtel verwahrt wurden. Diese Überraschung ist den beiden Mädchen absolut gelungen! Allein schon der Gedanke daran zaubert jeder meiner Mitschwestern auch nach langer Zeit noch ein verschmitztes Lächeln ins Gesicht.
Tatsächlich ist am Schenken und Beschenktwerden etwas dran, das niemanden kalt lässt. Wie kein anderes Fest verbinden wir Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu, und ganz ähnlich den Geburtstag eines lieben Menschen mit Geschenken. Wohl jeder und jede von uns hat sich im Advent oder vor einer Geburtstagsparty nicht nur einmal die Frage anhören müssen: "Und, hast Du schon alle Geschenke?" Meistens fällt die Antwort darauf ja negativ aus und nicht selten plagt einen am 24. Dezember und später noch das schlechte Gewissen, weil man an diese oder an jenen nicht gedacht hat, jetzt aber von der anderen Seite beschenkt worden ist. Wie und wann wird man das nur wieder gutmachen können? Bei diesem Problem hilft auch die Devise "Wir schenken uns gar nichts!" nicht weiter, denn am Ende ist der Gabentisch dank schenkfreudiger Zeitgenossen doch reich gedeckt.
Weihnachten ist vorbei, der nächste 24. Dezember kommt bestimmt und bis dahin stehen jede Menge Geburtstage von Familie, Freunden, Kollegen und Kolleginnen im Kalender. Dann ist jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt für die Frage aller Fragen: Nicht "Was" soll ich schenken – sondern "Warum" macht es Sinn, dass ich andere beschenke? Was bezwecken wir damit und was bedeutet es uns? Der französische Ethnologe und Religionswissenschaftler Marcel Mauss (1872-1950) hat sich intensiv mit dem Begriff der "Gabe" beschäftig – dem heute eher unmodernen Begriff für "Geschenk". Er betont, dass Geben und Nehmen das Herzstück unseres sozialen Miteinanders sind. Sichtbare werde das schon im Kleinen, im zwischenmenschlichen Miteinander, genauso wie in großen Zusammenhängen, etwa beim Eingehen von Kompromissen nach kriegerischen Auseinandersetzungen oder beim Schaffen einer guten Atmosphäre in gemeinschaftlichen Beziehungen. Marcel Mauss betont auch die "symbolische Dimension" der Gabe: Wenn wir etwas geben, haftet dem Geschenk immer auch ein Teil von uns selbst an. Kennen wir das nicht auch? Ein Geschenk spricht nicht selten für den und die, die es sich ausgedacht und vorbereitet haben.
Diese soziologischen Überlegungen zeigen, dass es beim Schenken um viel wichtigere Dinge geht, die Gemeinschaft und Miteinander erst möglich machen: Einfühlungsvermögen, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Anerkennung, Wertschätzung. All das sind ungemein wichtige Komponenten des Schenkens und Beschenktwerdens. Wer den Austausch von Geschenken als reine Pflichtübung sieht und wer nur schenkt, um eine Gegenleistung zu erhalten, reduziert das Schenken von Gaben auf einen ökonomischen Tausch. Und hinter einem Vertragsgeschäft liegt bekanntlich eine ganz andere Intention als hinter einem liebevoll ausgedachten, vielleicht sogar noch selbstgemachten oder selbstgebackenen Geschenk.
Schenken geschieht aus Liebe
Jemand anderem etwas zu schenken, zum Geburtstag, zu einer Einladung, aus einem bestimmten Anlass oder einfach so, als kleine Aufmerksamkeit, als Überraschung, in Dankbarkeit – im tiefsten Sinn steckt dahinter immer eines: Ein Geschenk wird aus Liebe gemacht. Nicht aus Kalkül, nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern gern, freiwillig, mit Hingabe, mit Freude, eben von Herzen.
Wer bekommt nicht gern ein Geschenk? Und wer steht nicht gern auch auf der anderen Seite und verschenkt etwas – abgesehen von denjenigen, die jetzt schon wieder Rechnungen mit Wert und anstellen, man kann sie leicht an ihrem mit Dollarzeichen verstelltem Blickfeld entlarven. Wie besonders ist dagegen der Gesichtsausdruck von Menschen, die beschenkt werden – das Leuchten der Augen, die Freude, das Strahlen über das ganze Gesicht bis zu den Ohren und Haarwurzeln. Nicht selten verbindet sich dieses Gefühl des und der Beschenkten auch Jahre später noch mit dem Geschenk, etwa wenn man den Jojo, den man als Kind vom Opa geschenkt bekommen hat, auf dem Dachboden in einer Kiste wiederfindet. Schenken und Beschenktwerden ist ein gutes Gefühl, es hat viel zu tun mit Sich-Hineinversetzen in den und die andere, mit Teilen, mit Lieben. Nicht zu vergessen: Beides gehört unbedingt zusammen, wer immer nur schenkt und wer immer nur empfängt, lebt absolut einseitig, in Schieflage könnte man sagen. Für die einen mag es zu einer bestimmten Jahreszeit typisch christlich, für andere viel zu altruistisch sein. Ohne Geschenke wäre unsere Welt arm, kalt und traurig. Deshalb sollten wir uns jeden Tag wieder fragen: Habe ich heute schon etwas verschenkt? Habe ich mich heute schon verschenkt? Nicht vergessen: Man muss für ein Geschenk nicht viel Geld ausgeben. Man kann Sterne oder Herzen selbst aussägen, so wie Anna und Sarah, oder man kann auf dem Weg zum Parkplatz oder zur U-Bahn ein Lächeln verschenken, an jemanden, der mir entgegenkommt. Überraschend, kostenlos, geschenkt. Das wirkt Wunder, einfach so.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.