Warum die Lage nicht aussichtslos ist

Funke in der Finsternis: Ohne Zuversicht geht nichts

Bonn - Seit drei Jahren leben wir in bedrückenden Zeiten. Mit Bangen blicken viele Menschen auf das angebrochene neue Jahr. Aber es gibt eine Wegzehrung, mit der wir sorgsam umgehen sollten: die Zuversicht.

Veröffentlicht am 23.01.2023 – Spiritea

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2022 war – um ein Wort der verstorbenen Queen Elizabeth II. zu zitieren – ein "annus horribilis", ein grauenvolles Jahr. Es reihte sich ein in eine Serie von Schreckensjahren, die spätestens mit der Corona-Pandemie ihren Anfang nahm und in Naturkatastrophen und dem Ukraine-Krieg gipfelte. Selten sah es zum Jahresende so trübe aus, was die Prognosen für Umwelt, Wirtschaft und Sozialstaat betrifft. Und kaum jemals war das Vertrauen in die Politik so gering. Der Tenor: Wir fahren auf Sicht – und steuern auf einen Abgrund zu.

Setzt sich diese Mutmaßung durch, tritt ein Phänomen ein, das der Soziologe Robert K. Merton 1948 bereits als "self-fulfilling prophecy" beschrieb, als eine Prognose also, die allein durch ihre Existenz ihre Erfüllung bewirkt. Dass die Zukunft, die man beschwört, dann auch tatsächlich eintritt, hat wohl damit zu tun, dass wir teils unbewusst an der Verwirklichung unserer Vorstellungen arbeiten – selbst dann, wenn dies negative Folgen für uns hat.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Umso wichtiger ist die Zuversicht – gerade dort, wo alle logischen Begründungen für eine realistische Hoffnung nicht mehr greifen. Denn dort wird sie am meisten benötigt. Auch wenn uns unser Verstand einzureden versucht, dass die drei Schlüsselbegriffe aus Paulus' Korintherbrief – Glaube, Liebe, Hoffnung – gelegentlich blind und trügerisch seien, hat die Zuversicht als ein sich oft unvermutet einstellendes positives Grundgefühl seinen höchsten Wert. Ohne sie geht es nicht.

Gerade wenn die Lage "aussichtslos" erscheint, ist die Zuversicht vonnöten. Dass sie auch dort etwas Gutes bewirken kann, wo sie nicht ganz der Wahrheit entspricht, lässt sich wunderbar in Jurek Beckers Roman "Jakob der Lügner" von 1969 nachlesen: In einem jüdischen Ghetto, dessen Bewohner von der Deportation in ein Todeslager bedroht sind, behauptet Jakob Heym, ein Radio ergattert zu haben. Ein Besitz, auf den die Todesstrafe steht. Er versorgt seine Leidensbrüder und -schwestern mit Siegesmeldungen der Roten Armee, hält damit ihre Hoffnung auf baldige Befreiung aufrecht.

Ein Tunnelausgang.
Bild: ©fox17/Fotolia.com (Symbolbild)

Ein Licht am Ende eines Tunnels: Die Zuversicht hilft, Krisenzeiten zu überstehen.

Dieses Motiv findet sich auch in Roberto Benignis tragischem Film "Das Leben ist schön" von 1997 wieder. Ein Vater macht seinem Sohn in einem Konzentrationslager vor, die Geschehnisse dort seien Teil eines Spieles. Als der kleine Junge von den Amerikanern befreit wird, während sein Vater ermordet wird, glaubt er tatsächlich, das Spiel gewonnen zu haben.

Die Beispiele zeigen: Ohne Zuversicht, aus unserer Lage in eine bessere Zukunft zu gelangen, geht es nicht. Wir würden unserem Niedergang nur noch in Apathie entgegendämmern. Um Zuversicht aufzubringen, braucht es nicht nur Vertrauen in sich selbst, sondern auch gegenüber dem Nächsten.

"Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden"

Dieses Vertrauen lässt sich leider leicht missbrauchen. Die Mächtigen haben in der Geschichte gnadenlos Unterdrückung und Ausbeutung ihrer Untertanen betrieben, flankiert von der Kirche, die alle irdische Hoffnung auf das Jenseits vertröstete. Wer sich an der Hoffnung der Menschen versündigt, begeht ein Verbrechen an deren Seelenleben. Es geht vielmehr darum, eine andere Option zu finden oder zu entwickeln als die pure Verzweiflung.

Im Grimm'schen Märchen von den Bremer Stadtmusikanten machen sich Esel, Hund, Katze und Hahn auf zu neuen Ufern, weil man ihnen auf ihre alten Tage übel mitspielen will. Sie ermutigen sich gegenseitig mit dem berühmtem Satz "Komm mit ... etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden".

Täglich können wir uns ein Beispiel nehmen, wie die Menschen in der Ukraine den Mut nicht verlieren und auf das Leben vertrauen. Und Zuversicht hat auch woanders gerade erst etwas bewegt: Beim Artenschutztreffen der Vereinten Nationen wurde in letzter Minute von 200 Staaten ein Abkommen unterzeichnet. Demnach sollen 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meere bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Da hat sich geballte Hoffnung in eine Vision verwandelt. So lässt es sich getrost ins nächste Jahr gehen.

von Andreas Öhler (KNA)