Wege zu innerem und äußerem Frieden

Wie ein Trauma geheilt werden kann

Bonn - Die Flutnacht im Ahrtal, Missbrauchserfahrungen, Kriegserlebnisse – viele Ereignisse können Menschen traumatisieren, auch über Generationen hinweg. Ein neuartiges Training zeigt Wege zur Heilung auf.

Veröffentlicht am 20.03.2023 – Spiritea

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"Wir werden euch nie vergeben" – diese Worte hört man angesichts der Gräueltaten im Ukraine-Krieg immer häufiger. So verständlich diese Aussagen von kriegstraumatisierten Menschen sind, so verhängnisvoll können sie sich auf die Zukunft einzelner und ganzer Völker auswirken. Sollte statt Hass und Rachegelüsten nicht vielmehr das Streben nach Frieden, Gerechtigkeit und langfristig Versöhnung siegen?

Genau darum geht es in dem Buch "Heilsam mit traumatischen Erlebnissen umgehen" der amerikanischen Resilienztrainerin Carolyn Yoder. Die englische Originalausgabe erschien bereits 2005, sie wurde nun aktualisiert und wirkt angesichts alter und neuer Trauma-Auslöser aktueller denn je. Yoder stellt darin das STAR-Training vor; es steht für "Strategien zur Traumawahrnehmung und Resilienz".

Entwickelt wurde es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und ergänzt um Erfahrungen aus der Friedensarbeit in Krisengebieten weltweit. Bislang haben nach Angaben der Autorin Tausende Menschen in über 60 Ländern an dem Training teilgenommen, viele davon selbst traumatisiert und psychologische Laien.

In Deutschland Traumabewältigung durch Einzelbehandlung

In Deutschland gibt es bislang keinen vergleichbaren interdisziplinären Ansatz. Traumabewältigung – ob in Folge von Kriegserlebnissen oder Missbrauch – geschieht bislang nicht nur hierzulande meist durch Einzelbehandlung in einem professionellen Rahmen. Weltweit sind nach Yoders Beobachtung aber weit mehr Menschen traumatisiert, als es professionelle Behandlungsmöglichkeiten gibt.

Hilfe zur Traumabewältigung müsse es deshalb nicht nur in Sprechzimmern geben, sondern auch niederschwelliger und außerhalb, schreibt Yoder. Denn, so fragte sie sich: "Wie viele Psychologen bräuchte es, um ganze Gemeinschaften – oder Länder – zu behandeln, die von schrecklichen Ereignissen betroffen waren? Brauchten die Menschen überhaupt einen Psychologen?"

Bei der Lektüre wird klar – ein Trauma erleben nicht nur Menschen bei Attentaten, in fernen Kriegsgebieten, durch Naturkatastrophen. Viele Erlebnisse können traumatisch sein und Menschen in ihrem Innersten erschüttern, auch in ihrem privaten Umfeld. Ein Trauma sei besonders tief, "wenn es durch Menschen oder Institutionen herbeigeführt wird, die wir kennen und denen wir vertrauen".

Zerstörte Wohnhäuser in einem Vorort von Kiew
Bild: ©picture alliance / newscom | Vladyslav Musienko (Symbolbild)

Traumata müssen nicht unbedingt nur durch Krieg hervorgerufen werden.

Als Trauma – das griechische Wort für Wunde – wird die Reaktion auf schlimme körperliche, emotionale oder beziehungsmäßige Erlebnisse bezeichnet. Es kann einzelnen, aber auch einer Gruppe von Menschen zustoßen. So könne ein ganzes Land traumatisiert sein.

Yoder schildert eindrücklich, was bei einer seelischen Erschütterung im menschlichen Nervensystem passiert: Wichtige Nervenverbindungen im Gehirn werden durch die Überflutung von Stresshormonen gekappt, der Vagusnerv schaltet auf eine Art Autopilot und Überlebensmodus um. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer körperlichen und seelischen Erstarrung und einer Distanzierung vom Erlebten. Wird die durch das Trauma eingefrorene Energie nicht freigesetzt – etwa durch Weinen oder Zittern – oder unterdrückt, könne sie sich in Wut und Rachsucht verwandeln. Das Opfer kann dann selbst zum Aggressor und der destruktive Kreislauf neu befeuert werden.

Von Generation zu Generation

Zum anderen wird laut Yoder ein nicht aufgearbeitetes Trauma "von Generation zu Generation in Familien, Gemeinschaften und Nationen weitergegeben". Die Epigenetik habe herausgefunden, dass die menschlichen Gene neben der DNA auch eine "Erinnerung an die Erfahrungen unserer Vorfahren" in sich tragen. Diese Art emotionaler Prägung wirke sich auf mehrere Generationen aus. "Schmerz, der nicht verwandelt wird, wird weitergehen", zitiert Yoder den Franziskaner Richard Rohr.

Wie aber "konstruktiv und lebensspendend" mit einem persönlichen oder kollektiven Trauma umgehen? "Wir können die Entscheidung treffen, uns dem Trauma zu stellen und unser Leiden umzuwandeln, sodass es uns stärker macht, sogar zu einem Geschenk an die Welt wird", ist Yoder überzeugt. Sie zeigt auf, wie es dosiert, über viele kleine Schritten gelingen kann, Frieden zu finden – indem man das erlittene Leid anerkennt, beklagt und betrauert.

Hilfreich seien auch kreative Elemente wie Kunst, Musik, Tanz und Schreiben. Ebenso könnten Massage und andere Formen von Körperarbeit das durch Traumawunden hyperaktive Nervensystem entspannen; dies könne in Gemeinschaftseinrichtungen gelehrt und von jedem praktiziert werden.

Verantwortung von Politikern

Dennoch klingt Traumabewältigung nach einer sehr privaten und individuellen Angelegenheit. Yoder verweist indes auf die Verantwortung von Politikern: Wenn sie ebenfalls traumatisiert sind und nicht mehr überlegt handeln können, bestehe die Gefahr, dass sie Konflikte durch destruktives Führen befeuern, etwa indem sie die Bevölkerung auf ein "Gut gegen Böse"-Narrativ einschwören. Wenn Verantwortungsträger aufgrund eigener Betroffenheit einen Konflikt nicht konstruktiv lösen können, verweist Yoder auf die Unterstützung durch Verbündete des betroffenen Landes oder bestimmte Organisationen wie Nato und UN.

Klar wird auch: Trauma-Heilung ist ein langwieriger Prozess. Yoder wirbt dafür, auch die Geschichte des anderen zu sehen und zu verstehen – ohne diese gutheißen zu müssen. Vergebung sei eine bewusste Entscheidung: nicht als Verzicht auf Gerechtigkeit, sondern als Möglichkeit, "sich von dem Gift der Bitterkeit zu befreien". Für Yoder ist Versöhnung kein punktuelles Ereignis, sondern entstehe "langsam nach einem schwierigen und mühsamen Weg der Heilung".

Hinzu kommt, dass manche Täter und Täterinnen niemals gefasst werden oder unerreichbar sind. "Die Hoffnung, das Rechtssystem würde Heilung bringen, ist also oft unrealistisch", schreibt Yoder. Einen Weg sieht sie in "restaurativer Gerechtigkeit", die sich auf die Bedürfnisse der Geschädigten konzentriert. "Jede und jeder von uns kann Wege finden, eine Zukunft zu schaffen, die anders ist als die Vergangenheit". Wer sich auf den schmerzhaften Weg macht und sich dem eigenen Trauma stellt, geht nach Beobachtung Yoders gestärkt aus diesem Prozess hervor. "Wir spüren Energie, die wir bekommen, wenn wir uns für die Heilung unserer Welt einsetzen. Kreisläufe des Lebens treten an die Stelle der Kreisläufe der Gewalt."

von Angelika Prauß (KNA)

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