Gefaltete Hände und Co: Was drückt Beten aus?
Jerusalem - Das Motiv der betenden Hände von Albrecht Dürer ist bekannt. Schwester Gabriela Zinkl schreibt von verschiedenen Gebetshaltungen. Und auch wenn es dabei kein "richtig" oder "falsch" gibt, regt sie zum Ausprobieren einer urchristlichen Haltung an.
Veröffentlicht am 24.04.2023 – SpiriteaHTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Es gibt ein Bildmotiv, mit dem die meisten Menschen unseres Kulturkreises automatisch das Thema "Gebet" verbinden. Die "Betenden Hände", zwei in aufrechter Haltung gefaltete Hände einer unbekannten Person, sind das wohl am häufigsten reproduzierte Bild des Nürnberger Künstlers Albrecht Dürer (1471-1528). Die Originalzeichnung aus dem Jahr 1508, mit Tinte auf zartblauem Hintergrund in der Größe eines normalen Blattes Papier, kann heute im Kunstmuseum Albertina in Wien bewundert werden. Doch nicht nur das, Kopien von Dürers Bild und Motiv sind im Grunde überall zu finden: als dreidimensionales Relief in Souvenirläden, besonders im Umfeld von Kirchen und Wallfahrtsorten, als Kühlschrankmagnet, besticktes Kissen, Erinnerungsbild von Erstkommunionkindern im Fotostudio, als mehr oder weniger schlecht kopierte Zeichnung oder als Tattoo auf dem Oberarm oder Emoji in einer Textnachricht. Obwohl die Bildvorlage schon über 500 Jahre alt ist, schlummerte sie lange im Verborgenen. Laut Forschungen der Kunsthistorikerin und Dürer-Expertin Anja Grebe wurden die "betenden Hände" erst im 20. Jahrhundert richtig populär und tausendfach kopiert. Jahrhunderte vorher stand ein anderes Motiv Dürers wesentlich mehr im Mittelpunkt: die Zeichnung von nackten Füßen einer knienden Person in Fersenansicht. Sie stand Ende des 16. Jahrhunderts Pate für einen wahren Fußfetischismus. In der Tat handelt es sich dabei um seltsame Begebenheiten und Zufälle, denn die beide Bilder Dürers sind angelegt als Skizzen, also Vorzeichnungen, für ein großes Auftragswerk, auf dem die Apostel Jesu dargestellt sind, wie sie die Himmelfahrt Mariens bestaunen. Der eine Apostel kniet ehrfürchtig, ein anderer faltet die Hände bewegt zum Gebet.
Genauso wie die "nackten Füße" sind die "betenden Hände" also aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen. Sie hängen in der Luft, ohne konkreten Bezug zu einer Person. Und das macht sie so interessant. Denn jeder kann diese Haltung einnehmen: ich, du, meine Nachbarin, mein Nächster, die Ordensschwester, der Priester, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welcher Abstammung. Aber warum denkt jeder beim Bild der aufrecht gefalteten Hände sofort an das Thema "Beten" und "Gebet"? Weil solche fromm gefalteten Hände lange Zeit als das Nonplusultra für Beten galten, besser gesagt für das stille Aufsagen oder Herunterbeten von Worten, Wünschen und Beschwörungen an den lieben Gott. Wenn man das selbst ausprobiert, die Handflächen aneinander zu legen, die Daumen zu überkreuzen, um dieser Haltung Stabilität zu geben, merkt man schon nach wenigen Sekunden, dass das eine Ruhe in den ganzen Körper ausstrahlt. Das funktioniert im Sitzen, im Knien und auch im Stehen, egal wann und wo. Die Haltung der betenden Hände, also der geschlossenen Handflächen, führt automatisch zu einem beruhigenden Gefühl. Auch andere Religionen und Meditationsformen wie Buddhismus, Islam oder Zen-Meditation kennen vergleichbare Handhaltungen, bei denen sich die Finger oder Hände berühren und man ruhig wird und beginnt, die Anspannung fallen zu lassen.
Wenn man heute einen Gottesdienst einer christlichen Glaubensgemeinschaft besucht, sieht man diese Handhaltung selten, am ehesten noch auf Bildmotiven in den Kirchen, an Seitenaltären oder Heiligenbildern oder bei Kommunionkindern. Ansonsten sind die Gebetshaltungen vielfältig: ineinander gelegte und überkreuzt Finger. Vor dem Körper verschränkte Arme. Offene Hände. Zu einer Schale ineinander gelegte Hände und ähnliches mehr. Die Liturgie der Kirche kennt keine Vorschrift zur Handhaltung. Die gemeinsame Haltung des Betens in der Liturgie ist das Stehen. Aber für die meisten Christen unseres Kulturkreises gehören gefaltete oder gekreuzte Hände als Ausdruck des Betens hinzu. Das kann regional und persönlich kann unterschiedlich ausfallen. Die persönliche Haltung der Hände zum Beten kann sich im Laufe der Zeit ändern, genauso wie die Worte und Inhalte der Gebete. Als Kind habe ich anders gebetet als jetzt als Erwachsene oder als Ordensfrau.
Bei der Haltung der Hände zum Gebet gibt es kein "richtig" oder "falsch". Es geht dabei ja vor allem um eine Körperhaltung, die das Beten unterstreicht, die nicht ablenkt, die auf Gott hin ausrichtet, mich zur Ruhe bringt und für seine Gegenwart öffnet.
Lange Zeit vor dem Stereotyp der betenden Hände nach der Zeichnung Albrecht Dürers, nämlich in den ersten Jahrhunderten der Kirche, wurde eine ganz andere Art der Handhaltung im christlichen Gottesdienst praktiziert, und zwar von allen: seitlich erhobene Arme und nach oben geöffnete Hände. Wer sich so aufrecht hinstellt und versucht zu beten, der kann gar nicht anders, als Gott zu loben. Die sogenannte Orantehaltung (von lateinisch "orare", beten) mit erhobenen Händen ist heute für den Priester bei Gebeten am Altar vorgeschrieben. Es ist eine Geste, die wir in unserem Alltag nirgendwo anders praktizieren, höchstens noch ansatzweise mit jubelnden Armen im Fußballstadion oder bei ähnlichen Anlässen. Das Beten mit ausgebreiteten Armen, auch einmal ganz allein für sich in einer Kirche, hat etwas Wohltuendes – und es hat eine lange Tradition: "Ich will dich rühmen mein Leben lang, in deinem Namen die Hände erheben" (Psalm 63,5). Also einfach mal ausprobieren und beobachten, was diese aus meinem Gebet zu Gott und aus mir macht.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.
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