Auf dem Gipfel: Das Kreuz auf dem Berg
Jerusalem - Sie markieren das Ende eines hohen Ziels: Gipfelkreuze. Schwester Gabriela Zinkl geht der Ursache auf den Grund, warum sie vor allem in Europa Berge markieren. Doch sie sieht in ihnen auch mehr – nicht nur für gläubige Menschen.
Veröffentlicht am 19.06.2023 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Es steht für das Erreichen eines hohen Ziels, ist ein beliebtes Fotomotiv und dient als Markierung von Erhebungen: das Gipfelkreuz. Manche umarmen es, manche küssen es, manche streicheln es. Es gibt Gipfelstürmer, die es kurz berühren, andere, die bei seinem Anblick ehrfürchtig die Kappe ziehen, und es gibt Wanderer, die sich davor einen Moment lang verneigen. Nicht zu vergessen all diejenigen, die sich zu Füßen des Gipfelkreuzes von der Anstrengung des Aufstiegs ausruhen, die den Ausblick genießen, die Brotzeit aus dem Rucksack auspacken oder gemeinsam auf die erreichten Höhenmeter anstoßen. Auf jeden Fall wird ein Beweisfoto gemacht: Ich war hier. Wer so ein Bild sieht, weiß sofort, dass man auf einen hohen Berg gekraxelt ist – eventuelle Etappen mit der Seilbahn lassen wir hier lieber mal außen vor.
In unseren Breiten steht auf einem hohen Berg meistens ein Gipfelkreuz. Höchste Punkte werden überall gerne markiert, egal ob auf Siegertreppchen oder in Rankings. Vor allem in Europa finden sich auf den höchsten Stellen der Berge Kreuze, auch auf vielen Gipfeln Südamerikas sind sie zu finden. In Afrika dagegen werden Berge als besondere religiöse Orte gesehen und aus Ehrfurcht vor den Göttern eher gemieden. Weder auf dem Kilimandscharo noch auf dem Sinai oder dem Tafelberg in Kapstadt gibt es ein Gipfelkreuz. Die höchste Stelle ist dort durch ein Schild markiert. Dagegen thront in den italienischen Alpen auf manchen Gipfeln eine Marienstatue. Im Himalaya, dem höchst gelegenen Gebirge der Welt, gibt es auf der Bergspitze eher tibetische Gebetsfahnen oder kultische Steinhaufen. Solche Steinpyramiden als Markierungen auf hohen Bergen sind ohnehin ein weltweites Phänomen. Oft markieren sie nicht nur das Ende einer Etappe, sondern dienen auch als Wegweiser. In Skandinavien sind Steinhaufen auf den Bergen beliebt, weil sie angeblich vor Trollen schützen. Auch in England und Irland sind Gipfelkreuze nicht üblich, sondern kleine Steinpyramiden.
Berge als spirituelle Orte
Warum also finden sich bei uns in Europa auf den meisten Bergen Gipfelkreuze? Dass die Gipfel der Berge eine besondere Bedeutung hatten, ist schon aus der Antike von den Römern überliefert. Bei ihren Bergüberquerungen haben sie ihren Göttern Opfer dargebracht, meistens in Form von Münzen und Goldstücken. Auf dem Gipfel fühlten sie sich ihren Göttern eben am Nächsten. Auch aus der Bibel kennen wir Berge oft als spirituelle Orte: Mose bekommt die zehn Gebote auf dem Berg Horeb oder Sinai; Jesaja und andere Propheten sprechen vom Berg Zion als Wohnort Gottes. Jesus wird auf einem Berg verklärt, seine berühmte Bergpredigt ist nach wie vor von Bedeutung, er zieht vom Ölberg aus in Jerusalem ein und wird am Ende auf dem Hügel Golgotha gekreuzigt. Kreuze aufgestellt hat deswegen dort aber erst einmal niemand – mit Ausnahme von Golgotha, und dies auch erst einige Jahrhunderte nach der Kreuzigung Jesu.
Die Gipfelkreuze kommen erst später ins Spiel, aus praktischen Gründen: Während der Kreuzzüge dienen sie auf den Bergen der Alpen als Wegweiser. Ab dem 13. Jahrhundert werden sie verstärkt eingesetzt als Landmarken, genauer als Grenzmarkierungen zwischen Gemeinden. Erst ab dem 17. Jahrhundert werden die Gipfelkreuze in den Alpen deutlicher mit einer christlich-religiösen Bedeutung verbunden. Es entwickelt sich der Brauch, Anhöhen, Gipfel oder besondere Orte als "heilige" Stellen zu markieren, und zwar nicht nur mit Kreuzen, sondern auch mit Fahnenstangen oder Steinpyramiden, den sogenannten "Steinmandln" (Steinmännchen). Der Künstler Caspar David Friedrich malte zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere Bilder mit Gipfelkreuzen, so zum Beispiel "Kreuz im Gebirge" von 1807, und prägte damit das romantische Symbol des Gipfelkreuzes nachhaltig.
Als das Besteigen von Berggipfeln im 19. Jahrhundert so langsam populär wird, wird das Kreuz ein Zeichen der Erstbesteigung und der "moralischen" Eroberung der Berge durch Menschen. Das Kreuz, das auch für die Gipfelvermessung und als Blitzableiter genutzt wurde, symbolisierte in dieser Zeit eher die menschliche Leistung als Verneigung vor Gott. Nach den beiden Weltkriegen werden verstärkt Kreuze aufgestellt zum Gedenken an die Opfer, aber auch zum Dank für Kriegsheimkehrer. Heute gibt es in den Alpen einige Kreuze, die von tibetischen Gebetsfahnen flankiert werden. Ist das nicht eine wunderbare Kombination?
Es liegt an uns
War das Aufstellen von Gipfelkreuzen früher ein richtiger Kraftakt, denn es musste von mehreren Männern zu Fuß auf den Berg getragen werden, geht es heute viel schneller per Helikopter. So ist es kein Wunder, dass die Gipfelkreuze immer größer werden. Das Jakobskreuz auf der Buchensteinwand in Tirol ist ein richtiges Gebäude, 30 Meter hoch und innen über mehrere Etagen begehbar. Das größte Kreuz der Welt ist übrigens in Rumänien, auf dem Berg Caraiman in den Karpaten, 31 Meter hoch und 15 Meter breit, es wurde dort vor fast 100 Jahren errichtet.
Ein Berg ohne Gipfelkreuz: langweilig! Oder "Da fehlt etwas!" Ein Foto mit dem Gipfelkreuz zu machen ist tief in die DNA der Bergsteiger eingebrannt, heißt es aus den Reihen des Deutschen Alpenvereins. In den letzten Jahren keimt vereinzelt Kritik auf, unter anderem von Reinhold Messner, der das Gipfelkreuz als "Humbug" bezeichnet, weil Berge der ganzen Welt gehören und nicht nur einer Glaubensgemeinschaft.
Wie wir mit dem Gipfelkreuz und seiner Bedeutung umgehen, liegt ganz in unserer Hand. Wir können, müssen aber keine religiöse Botschaft im Gipfelkreuz erkennen. Auf jeden Fall markiert das Kreuz in unseren Regionen den Gipfel, die höchste Stelle des Berges. Wer vorwiegend aus sportlichem Ehrgeiz den Berg besteigt, der sieht im Gipfelkreuz vor allem das erreichte Ziel. Am Gipfelkreuz ist man dem Himmel außerdem viel näher als unten, am Fuß des Berges. Mir persönlich gefällt gut daran, dass man sich daran auch festhalten und anlehnen kann – wann und wo kann man das sonst schon mit einem Kreuz in unseren Kirchen tun? Meistens sind die Kreuze dort ja klein, reich verziert oder unerreichbar. All das mag jeder und jede deuten, wie er und sie es will. Hat man den Aufstieg geschafft und schaut vom Gipfelkreuz aus in die weite Welt, dann ist das ein sehr besonderes Gefühl: Erhabenheit, über allem zu stehen, und auch Demut, da die Welt so klein und der Himmel so nah ist. Nicht umsonst sind Berge und ihre Gipfel seit alters her heilige Orte. Sie erinnern uns daran, dass es weitaus mehr gibt als nur unsere eigene kleine Welt.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.
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