Warum der Liebesbrief nie aus der Mode kommt
Bonn - Jeder fünfte Mann will ChatGPT für Liebesbriefe nutzen, bei den Frauen ein paar weniger. Das ergab eine Studie im Frühjahr. Fachleute machen sich dennoch wenig Sorgen um den Liebesbrief.
Veröffentlicht am 07.08.2023 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Verzehrende Sehnsucht und innige Leidenschaft: Liebesbriefe sind ein besonderes Kommunikationsmittel. "In der Regel geht es um Gemeinsamkeiten: um vergangene Gemeinsamkeiten, die man erlebt hat, oder um künftige, die beschworen werden", so fasst Veit Didcuzneit den "kleinsten gemeinsamen Nenner" zusammen. Er leitet die Sammlung bei der Museumsstiftung Post und Telekommunikation in Berlin. Insgesamt sei der "Privatbrief" zwar fast ausgestorben, doch gerade Liebesbriefe gebe es weiterhin.
Das beobachtet auch Eva Lia Wyss. Die Sprachwissenschaftlerin hat das Liebesbriefarchiv gegründet, das seit 1997 entsprechende Dokumente sammelt. Vor allem zu besonderen Anlässen wie Jahrestagen schreiben die Menschen nach ihrer Einschätzung noch Liebesbriefe – auch wenn sie häufig nicht mehr per Post verschickt werden, sondern auf elektronischem Weg oder auch persönlich übergeben werden. Als entscheidendes Kriterium betrachtet Wyss weniger das Medium, sondern die Form, also Anrede, Grußformel und inhaltlichen Teil.
Viele Menschen nutzten besondere Stilmittel, wenn sie ihre Liebe ausdrücken wollten, etwa Kalligrafie oder einen aufwendig gestalteten Brief. Entscheidend ist aus Sicht von Didczuneit indes, ob die Botschaft "ankommt". Das könne auch bei einer schnell geschriebenen Notiz der Fall sein: "Ideal ist ein Liebesbrief dann, wenn er erfolgreich ist für diejenigen, die ihre Liebe gestehen, bekräftigen oder neu entflammen wollen." Der Experte erinnert an jene Briefchen, die man einander in der Schule zugesteckt hat – die viele Menschen durchaus lange aufbewahrten.
"Die größte Briefschreibe-Aktion des 20. Jahrhunderts"
In der Sammlung der Stiftung liegt ein Schwerpunkt indes auf Schreiben mit ernsterem Hintergrund: auf Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg. "Das war gewissermaßen die größte Briefschreibe-Aktion des 20. Jahrhunderts", sagt Didczuneit. Und: "Viele Feldpostbriefe sind Liebesbriefe." Die Dokumente, vielfach unter widrigsten Umständen verfasst, entstanden zudem eher nicht in der Absicht, sie eines Tages zu veröffentlichen.
Für Wyss ist das ein großer Unterschied zu den "großen" Liebesbriefen, die man etwa von Dichtern und Schriftstellerinnen kennt. "Sie wurden oftmals nicht nur für den Empfänger oder die Empfängerin verfasst, sondern mit Blick auf ein Publikum." Die rund 25.000 Briefe aus 52 Ländern und vier Jahrhunderten, die im Koblenzer Archiv bislang gesammelt wurden, seien dagegen "ein großer Schatz an sprachgeschichtlichen Quellen", gerade weil sie die "Alltagswirklichkeit des Schreibens" zeigten.
Die Liebe verschlägt einem bisweilen den Atem – und die Sprache. Nicht nur die Geschichten mancher Liebesbrief-Ghostwriter wie Cyrano de Bergerac wurden daher berühmt; auch gab es lange den Beruf des Briefstellers, und zahlreiche Bücher und Websites geben Tipps für gelungene Briefe und Formulierungen. Heute suchen Menschen auch bei Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI), etwa bei ChatGPT, nach Anregungen. "Ein KI-generierter Brief ist meist fehlerfrei", sagt Wyss. Allerdings: "Die spezifische Individualität, das Persönliche und die Intimität können abhanden kommen, wenn man alles einer KI überlässt."
Auch Didczuneit sieht es als interessanten Versuch, einmal zu schauen, was einem ChatGPT vorschlägt. "Aber in der Liebe hat man doch eher den Wunsch, den anderen zu erkennen und ehrlich miteinander umzugehen." Entscheidend sei dafür keine anspruchsvolle Sprache, sondern so zu schreiben, wie man eben sei. Zudem könne schon der Brief als solcher signalisieren, dass man sich um jemanden bemüht: "Vor über 150 Jahren ist die Postkarte entstanden, weil Briefe zu aufwendig erschienen, heute gibt es E-Mail und Chat-Nachrichten. In einer Liebesbeziehung geht es aber nicht um Ökonomisierung; eine Beziehung will gepflegt sein."
Deshalb sieht auch Wyss den Liebesbrief keinesfalls vor dem Aus. Viele Menschen posteten aus guten Gründen Fotos von handgeschriebenen Briefen in Sozialen Medien oder bemühten sich darum, in Kurrentschrift geschriebene alte Briefe ihrer Eltern oder Großeltern zu entziffern. Und sogar das, was an Briefen einst kritisiert wurde, kann in der heutigen hektischen Zeit zum Vorteil werden, sagt die Wissenschaftlerin: "Die Verzögerung der Kommunikation – das ist heute etwas Besonderes."
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Sieben Tipps für einen gelungenen Liebesbrief
Der handgeschriebene Brief wird seltener – aber auch eine Karte oder eine Mail zu einem besonderen Anlass kann Herzen höher schlagen lassen. Fachleute geben Tipps für einen gelungenen Liebesbrief.
- Eigene Gedanken festhalten: Dies bietet die Chance, sich selbst über manches klarer zu werden – und für das Gegenüber kann es "sehr bedeutungsvoll" sein, an diesen Gedanken teilzuhaben, sagt Eva Lia Wyss.
- Schwierigkeiten offen benennen: Es sei nicht schlimm zu erwähnen, wenn man eher keine "Person des Wortes" ist – im Gegenteil, sagt Veit Didcuzneit.
- Der oder dem anderen etwas Gutes tun: Die Frage, worüber sich der oder die Liebste freut, ist laut Wyss immer hilfreich – auch für einen gelungenen Gruß: Wer ist die Person, an die ich schreibe – und wie kann ich ihr oder ihm etwas Gutes tun?
- Inspiration holen: Ob in den Werken großer Briefschreiberinnen und -schreiber oder bei ChatGPT – Ideen für liebe Worte gibt es viele. Expertin Wyss empfiehlt allerdings, von ChatGPT verfasste Zeilen gründlich durchzulesen. Und: "Eigene Worte, auch wenn sie vielleicht weniger geschliffen daherkommen, sind immer auch einzigartig, sagen genau das, was man sagen möchte – und sorgen dadurch auch für eine verbindende Nähe."
- Die passende Form wählen: Unter einem Liebesbrief stellt man sich vielleicht einen Pergamentbogen vor, sauber mit Füller beschrieben. Doch eine Notiz auf einem Küchenzettel kann eine ähnliche Funktion erfüllen, sagt Didczuneit: "Letztlich geht es um die Beziehung und darum, ob die Botschaft den gewünschten Effekt hat."
- Äußere Anlässe nutzen: Geburtstage oder Jahrestage sind Zeitpunkte, zu denen häufiger eine Karte oder auch ein Brief geschrieben wird. Auch der Valentinstag (14. Februar) kann einen solchen Anlass bieten – oder auch der Tag, an dem man sich kennengelernt hat, sich das erste Mal näherkam oder vielleicht etwas Besonderes erlebt hat.
- Übung macht den Meister: Den "horror vacui", die Angst vor dem leeren Blatt, kennen fast alle professionellen Schreiberinnen und Schreiber. Auch im Privaten tut man sich mit dem "Loslegen" oft schwer – Experte Didczuneit rät zum Üben. "Wenn man erstmal mehrere Briefe geschrieben hat, dann geht einem das ganz anders von der Hand."