Die Zeit ist so kostbar – doch niemand hat sie
Jerusalem - Irgendjemand hat immer keine Zeit, schreibt Schwester Gabriela Zinkl. Das kennen wir von uns und von anderen. Dabei ist Zeit doch etwas Abstraktes – und doch messen wir sie mit Uhren, Ziffern und Zeigern, weil sie kostbar ist.
Veröffentlicht am 06.11.2023 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Jeder dieser drei Sätze klingt irgendwie nach Stress. Irgendjemand hat immer keine Zeit. Das kommt uns doch bekannt vor! Richtig, wir kennen das zur Genüge, von uns selbst, noch mehr von all den anderen um uns herum, die sich einfach nicht an die vereinbarten Termine halten können, ständig zu spät kommen und irgendeine faule Ausrede haben. Unmöglich ist das! Ständig reden wir über die Zeit und haben sie im Blick. Aber, was ist eigentlich Zeit? Gibt es sie überhaupt oder ist sie doch nur eine Erfindung und Plage? Und wenn es Zeit gar nicht gibt, wieso kann ich sie mir dann nehmen?
Erst vor wenigen Tagen haben wir ziemlich viel Zeit geschenkt bekommen. In der Nacht der Umstellung von Sommerzeit auf Winterzeit, hatte jeder von uns eine ganze Stunde mehr zur Verfügung als sonst. Eine Stunde – geschenkt! Das sind ganze 60 Minuten oder sogar 3.600 Sekunden! Das kann ziemlich lang sein: In dieser Zeit könnte man einen Marmorkuchen backen, Socken fertigstricken, mit dem Auto, Zug oder Fahrrad in eine ganz andere Gegend fahren. Für anderes reicht eine Stunde aber bei Weitem nicht aus: Ein guter Kinofilm dauert locker zwei Stunden oder mehr, beim Examen oder den Hausaufgaben vergeht die Stunde viel zu schnell, ohne dass wir fertig sind, und beim Fußballspiel beginnt nach einer Stunde gerade erst die zweite Halbzeit.
Alles nur Erfindung?
Seit Menschen existieren, versuchen sie das, was sie als „Zeit“ wahrnehmen, einzuteilen. Das gibt uns das Gefühl, dass wir scheinbar über die Zeit verfügen können: Minuten, Stunden, Wochen, Monate und Jahre unterliegen unserer Planung und unserem Zugriff. Wir führen Kalender, Termin-Erinnerungs-Apps und umgeben uns mit Uhren aller Art, Weckern, Zeitansagen und Timern, wo es nur geht. Wir machen das Unsichtbare sichtbar und kommen doch viel zu oft zu spät.
Dabei ist Zeit etwas Abstraktes, das man sich zwar denken kann, das aber nicht real ist. Alles nur Erfindung? Der berühmte Physiker Albert Einstein (1879-1955) hat in seiner Relativitätstheorie nachgewiesen, dass eine absolute Zeit nicht existiert. Denn: Die Zeit ist relativ. Das mag auf den ersten Blick unbefriedigend klingen, aber diese Definition entspricht nicht nur unserem Alltagsverständnis, sondern nachgewiesenen physikalischen Erkenntnissen. Vom Genie Albert Einstein stammt auch das berühmte Zitat, dass eine Stunde mit einem hübschen Mädchen wie eine Minute vergeht, aber eine Minute auf einem heißen Ofen eine Stunde zu dauern scheint. Einsteins Relativitätstheorie der Zeit meint, dass zum Beispiel Uhren, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch den Raum bewegen, unterschiedlich schnell ticken. Wir benutzen also die Veränderung des Raumes, das heißt das Zurücklegen gewisser Entfernungen, um uns an der Zeit zu orientieren. Wahrnehmen können wir das am Begriff „Zeitraum“, als der Zeit, die zwischen oder von einem Zeitpunkt zum anderen vergangen ist.
Damit uns die Zeit nicht abhandenkommt und wir sie fest im Blick behalten können, nutzen wir immer noch gerne Uhren mit Zeiger, die sich bewegen, oder Uhren mit Sekundenzählung. Dadurch vergewissern wir uns, ob und wie die Zeit voranschreitet. Bei der Zeitmessung bei Sportwettkämpfen spielen solche Uhren eine wesentliche Rolle. Auf den Anzeigetafeln im Stadion rast die Zeit, sogar gezählt in Millisekunden, nur so dahin, das heißt die Zeit bewegt sich also im Raum von A nach B und noch viel weiter. Deshalb: Zeit ist relativ!
Wir messen die Zeit, wir erfahren die Zeit und wir sprechen fast dauernd über sie, bewusst oder unbewusst. Wir wachsen mit der Zeit, wir entwickeln uns in ihr, werden dicker und dünner und von Tag zu Tag und Jahr zu Jahr auch älter. Mit der Zeit wird es uns langweilig oder kurzweilig. Manche sehen sich nach der guten alten Zeit. Und wer würde nicht gerne das Angebot einer Zeitreise annehmen?
Jeder Moment ist kostbar
Wenn wir einer Sanduhr zuschauen, in der der Sand vom oberen ins untere Glas rieselt, und wir sie wieder und wieder umdrehen, haben wir das Gefühl, die Zeit ein Stück weit in der Hand zu haben. Trotzdem verrinnt sie wie ein Nichts zwischen unseren Fingern. Das Merkwürdigste an der Zeit ist, dass uns trotz unserer Planungen und Kalender nur das Jetzt, der jetzige Moment, wirklich zur Verfügung steht. Das Vergangene ist vorbei, das Zukünftige ist noch nicht da. Uns bleibt nur das Jetzt, der Augenblick, in dem wir gerade leben und atmen.
Was also ist die Zeit, dieses unsichtbare Etwas? – Zeit ist Leben. Wir zählen nach ihr unsere Lebenszeit. Deshalb ist Zeit kostbar, jeder einzelne Moment. Eigentlich ist die Zeit, neben der Liebe, das Kostbarste unter uns Menschen: Wir können sie nicht machen, sie ist uns geschenkt – von Gott, genau jetzt.
Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen, eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz; eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen. (Kohelet 3,1-5)
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.
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