Rauhnächte regen zu einem achtsamen Jahreswechsel an
Bonn - Um die Jahreswende blicken viele Menschen auf die vergangenen Monate zurück und überlegen, was sie sich für das neue Jahr wünschen. Dabei entdecken manche den alten Brauch der Rauhnächte neu.
Veröffentlicht am 27.12.2023 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Die Wohnung ausräuchern, Belastendes niederschreiben und verbrennen, Wünsche für das kommende Jahr formulieren, Orakelkarten ziehen – je stressiger und belasteter der Alltag wird, umso mehr sehnen sich Menschen offenbar danach, wenigstens am Jahresende einmal innezuhalten und sich neu zu sortieren. Bewusst gestaltete Rauhnächte, also die Tage zwischen dem 24. Dezember und 5. Januar, können dabei helfen.
"Je schnelllebiger die Zeit wird, umso stärker wird das Verlangen nach Ruhe und Rückzug", beobachten etwa die Buchautorinnen Christina Denetzky und Meliha Guri. Das Zelebrieren der Rauhnächte und anderer Jahreskreisfeste spiegele auch die Sehnsucht der Menschen wider nach einer kraftvollen Spiritualität, nach mehr Verbindung zu den Rhythmen der Natur und zu altem Wissen, sind die Buchautorinnen überzeugt. Die Zeit des Jahresausklangs sei inzwischen die einzige Phase im Jahr, "in der die Zeit regelrecht stillzustehen scheint", so Denatzky und Guri. Während die Natur im Winterschlaf liegt, verspürten viele ein tiefes Verlangen nach Rückzug und Regeneration. In ihrem Buch "Rauhnächte & Jahreskreisfeste" geben sie Impulse, wie der Jahreswechsel begangen werden kann. Einst versuchte man sich in dieser Zeit durch Rituale wie dem Ausräuchern vor dunklen Mächten zu schützen. Die bösen Geister, vor denen sich Menschen heute schützen sollten, seien aber eher "Stress, Schlafmangel und Energieräuber", finden die Autorinnen.
Bewusst innehalten
Während der zwölf Rauhnächte und ihren Ritualen – etwa das Formulieren von 13 Wünschen und das Ziehen von Orakelkarten – gehe es auch darum, Träumen, Wünschen und Visionen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. "Der logische Verstand darf eine Pause machen, und wir möchten uns dem Fühlen, Spüren und Erahnen widmen." Träume, Zeichen und Fundstücke in dieser Zeit können als ein Fingerzeig ins neue Jahr interpretiert werden. Bei der Ausdeutung gebe es kein Richtig oder Falsch – jeder Mensch entscheide selbst, wie es sich für ihn stimmig anfühle. Egal, welche Rituale in dieser Zeit praktiziert werden: Es gehe vor allem um das bewusste Innehalten und die Verbindung zu sich selbst.
Flexibel praktiziert auch die Amrumerin Heike Heilmann die Rauhnächte, "um mich mit der Natur zu verbinden", wie sie sagt. Vor über zehn Jahren hat sie diese besondere Zeit des Jahres für sich entdeckt. "Es ist schön, wenn dieses Brauchtum nicht ausstirbt", sagt die 56-jährige Seniorenbetreuerin, die vor einigen Jahren aus der Kirche ausgetreten ist. Sie findet es schade, dass die Rauhnächte mit Esoterik – "mit Leuten, die verrückt sind oder neben der Spur laufen" – in Verbindung gebracht würden. Sie sei immer noch gläubig, sonst tue man sich auch mit den Rauhnächten schwer, räumt sie ein. "Ich fühle, dass da mehr ist."
Heilmann sucht sich für jeden Jahreswechsel ein anderes ruhiges Lied aus, das sie im auslaufenden Jahr begleitet und berührt hat. Sie spielt es jeden Abend ab, während sie alle Zimmer ihrer Wohnung sorgsam räuchert. Zu ihren Ritualen gehören auch das Entzünden einer besonderen Kerze auf dem Esstisch, das tägliche Ziehen einer Orakelkarte und der Austausch darüber mit ihrer Frau.
Die Amrumerin lässt die Karten auf sich wirken und macht sich Notizen zu ihren Impulsen. "Die Karten wirken das ganze Jahr nach", ist sie überzeugt. Denn sie führt ein Rauhnacht-Tagebuch, in dem sie auch ihre 13 Wünsche für das neue Jahr notiert. Weil die Impulse "über das Jahr verblassen", holt sie sich ihre Aufzeichnungen immer wieder hervor, um sich die Gedanken und Erlebnisse vom Jahreswechsel in Erinnerung zu rufen. Für sie sind die Rauhnächte und das Räuchern auch ein Ritual, um runterzukommen und sich zu erden. "Du gehst aus dem Alltag raus und kommst in das Mystische rein – als Gegenpol zu der heutigen schnelllebigen Zeit", sagt die Amrumerin. Ohne ihre Frau kann sie sich die Rituale des Jahreswechsels nicht vorstellen, "früher hat man das auch zu mehreren gemacht", erklärt Heilmann. "Es ist einfach schön, wenn man das als Paar, Familie oder mit Freunden machen kann – mir würde sonst der Austausch fehlen."
Auch online möglich
Inzwischen gibt es auch Online-Angebote für die Zeit der Rauhnächte. Tanja Köhler, Diplom-Psychologin aus dem baden-württembergischen Denkingen, bietet sie seit vier Jahren an. Köhler gibt offen zu, dass sie sich zunächst eher skeptisch darauf eingelassen habe. In ihrem Buch "Rauchnächte – 12 Tage nur für Dich" bezeichnet sie diese Zeit jetzt als "eine der intensivsten und besten Erfahrungen, die ich machen durfte" und eine "fantastische Reise zu mir selbst". Für Köhler sind die Rauhnächte "alles andere als Humburg" und "eine wundervolle Einladung für ein Rendezvous mit mir selbst".
Welche Energie die Rauhnächte entfalten, hat für die Psychologin nichts mit Magie zu tun, sondern vielmehr mit der Bereitschaft, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Das gerate im schnelllebigen Alltag oft aus dem Blick, weiß Köhler aus eigenem Erleben. Wenn sich Menschen dabei auf wichtige Lebensfragen einlassen, gewinnen sie innere Klarheit darüber, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Damit können sie auch ihre Prioritäten neu ordnen und sich besser fokussieren, auch um aktiv zu werden, damit Wünsche sich im neuen Jahr überhaupt erfüllen können.
"Die Rauhnächte schenken uns den Glauben an uns und an all das, was in uns steckt. An unsere Fähigkeiten, an unserer Stärken und an ungeahnte Möglichkeiten", schreibt Köhler über die stärkende Wirkung. Nicht nur in den Rauhnächten seien Rituale hilfreich. "Sie schenken uns Orientierung in einer Welt, die sich gefühlt schneller dreht als jemals zuvor und in der wir kaum noch Raum und Zeit für uns selber finden."
Anregungen zur Gestaltung der Rauhnächte
Die Wohnung räuchern, 13 Wünsche für das neue Jahr formulieren, Tarot-Karten ziehen – für die Rauhnächte gibt es einige Rituale. Zugleich können sie individuell gestaltet werden. Hier einige Anregungen aus aktuellen Büchern:
- Altes loslassen: Die Psychologin Tanja Köhler rät, bereits am 21. Dezember – dem Tag mit der längsten Nacht – zu einem Ritual des Loslassens. Dabei kann auf einem oder mehreren Zetteln alles vermerkt werden, von dem man sich verabschieden möchte: unschöne Erinnerungen, Begegnungen, bestimmte Menschen, mit denen man keinen Kontakt mehr möchte. Das Papier kann später in einer feuerfesten Schale verbrannt werden.
- Überflüssiges aussortieren: Vieles wird nicht mehr genutzt oder getragen, liegt im Weg rum, verstaubt. Für Köhler sind die Tage vor den Rauhnächten eine gute Gelegenheit, auch materielle Dinge loszulassen. Denn: "Aufräumen bringt Klarheit. Und Loslassen schafft Freiräume!" So werde sichtbar Platz geschaffen für all das Wichtige und Neue, was die kommenden zwölf Monate bereit hielten.
- Kräuterkerze statt Räucherwerk: Wer seine Wohnung nicht mit Kräutern wie Salbei, Fichtenharz oder Weihrauch räuchern möchte, kann dazu auch eine Kräuterkerze verwenden.
- Vieles kann, nichts muss: Die Buchautorinnen Christiana Danetzky und Meliha Guri schlagen vor, die besondere Zeit um den Jahreswechsel als Inspiration zu sehen, "sich in dieser Zeit wieder mehr dem Rückzug, dem Familienleben oder seinen engsten Vertrauten und Lieben zu widmen".
- Stille: Nach den mitunter trubeligen Feiertagen empfiehlt es sich, sich bewusst Stille – ob in der Natur, einem Gotteshaus oder einem ruhigen Zimmer – auszusetzen. Damit kann sich der Organismus nach den Festtagen und den zurückliegenden Monaten beruhigen und ausruhen. Auch ein Kopfhörer mit Noise-Cancelling-Funktion kann helfen, zu sich zu finden.
- Orakel- und Tarotkarten: Nicht jeder kann damit etwas anfangen. Solche Karten geben keine sichere Prognose ab, betonen Danetzky und Guri. Vielmehr können sie ein Impuls zum Nachdenken sein. Wie bei Ratschlägen von nahestehenden Menschen ist es dem einzelnen überlassen, was er mit den Anregungen macht. Schließlich sitze jeder selbst am Steuer seines Lebens.
- Zukunftskollage: Was erwarte ich im kommenden Jahr, was wünsche ich mir? Was sind meine wahren Bedürfnisse? All das kann auch in einer Kollage visualisiert werden, etwa mit Bildern und Überschriften aus Zeitschriften, die gut sichtbar in der Wohnung aufgehängt wird, um sich später auch zurück im Alltag wieder die eigenen Träume und Visionen in Erinnerung zu rufen.
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