Wer tritt die Nachfolge von Miriam, Jeremia und Jesaja an?

Es wird wieder Zeit für Prophetinnen und Propheten

Grafschaft - Propheten: Sind das nicht diese verstaubten Gestalten aus dem Alten Testament, die ohne Erfolg die Zukunft voraussagten? Nicht ganz, schreibt Schwester Gabriela Zinkl. Sie erklärt, was einen Propheten oder eine Prophetin auszeichnet – auch heute.

Veröffentlicht am 11.03.2024 – 

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Greta Thunberg soll eine sein, Alexj Nawalny, Mutter Teresa sowieso und vielleicht auch Mahatma Gandhi? Für nicht wenige sind und waren sie "Lichtgestalten", Vorbilder oder Propheten. Moment mal, sind Propheten nicht diese verstaubten Gestalten aus dem Alten Testament, die die Zukunft vorhersagten und doch erfolglos blieben? Was hat das mit den eben genannten Umwelt- und Friedensaktivisten, mit der Ordensfrau und dem Menschenrechtler zu tun? – Eine ganze Menge. Denn genau genommen ist ein Prophet einer, der nicht in die Zukunft, sondern in die Gegenwart blickt. Prophetinnen und Propheten sind Menschen, die die Probleme beim Namen nennen, den Finger in die Wunde legen und keine Angst haben, den Machthabern die unbequeme Wahrheit ins Gesicht zu sagen, diese im Zweifel sogar mit den eigenen Händen anprangern. Niemand anderes als ein Prophet hat den Mut, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Irrglauben beim Namen zu nennen, auch wenn er oder sie dafür einen hohen Preis bezahlen muss, manchmal sogar das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.

Das Wort "Prophet" kommt aus dem Griechischen und dem antiken Kulturkreis und bedeutet "für jemanden etwas sagen". Der Prophet oder die Prophetin spricht nicht für sich selbst, sondern für jemand anderen. Das Wichtigste bei einem Propheten oder einer Prophetin ist die Botschaft. Wofür steht er, wofür steht sie? Ein Prophet erkennt wie kein anderer gesellschaftliche Missstände wie Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Korruption aller Art. Und er oder sie prangert diese Missstände unmissverständlich in der Öffentlichkeit an. Das geht viel weiter als Stammtischparolen oder Parteitagsreden, denn Prophet-Sein heißt auch: überzeugend und glaubwürdig leben. Nicht nur die Dinge beim Namen nennen, sondern aktiv darauf hinwirken, dass sich die Verhältnisse zum Guten umkehren und verändern.

Sprichwörter mit Prophetenbezug

Nicht von ungefähr denkt jeder beim Wort "Prophet" sofort an einige bekannte Gestalten aus dem Alten Testament. Auch wer die Bibeltexte nicht in- und auswendig kennt, Prophetenschicksale wie die von Jeremia oder Jesaja gehören zu unserem sprachlichen und kulturellen Allgemeinwissen. Das betrifft die Beharrlichkeit der Propheten, dass sie nicht müde wurden, Missstände beim Namen zu nennen, und auch ihr oft vergebliches Wirken, wofür sie meistens nichts konnten. Sprüche wie "Da rennst du gegen die Wand" oder "da kannst du stundenlang gegen die Wand reden wie ein Prophet" sind typisch für die schweren Bedingungen des Prophetendaseins.

Die Propheten und Prophetinnen des Alten Testaments – ja, die gab es auch: zum Beispiel Miriam, Deborah, Hulda, Hanna oder die Frau des Propheten Jesaja – verkündeten ihre Botschaft im Auftrag Gottes. Aus ihren Berichten, ein großer Teil davon ist eingegangen in die "Prophetenbücher" des Alten Testaments, geht deutlich hervor, dass sie vorher im Traum oder am helllichten Tag die Stimme Gottes mit einem Auftrag vernommen haben. Deshalb konnten sie schon damals, vor knapp 3000 Jahren, nicht anders, als sich aufzumachen zu den Menschen, und ihnen mahnende Worte und den Aufruf zur Umkehr zu predigen.

Bild: ©picture-alliance/John Hios (Symbolbild)

Der Prophet Jesaja auf einer griechischen Ikone.

Das Prophetendasein war alles andere als ein Zuckerschlecken. Man oder frau ist nicht automatisch zum Propheten geboren, sondern ist von Gott dazu berufen.  Anfängliche Zweifel, ob man wirklich dazu berufen und geeignet ist, und Frust und Enttäuschung, wenn keiner die Botschaft so recht hören wollte, gehören auch zum Prophetenschicksal, sind also ganz normal.

Und trotzdem sind die Prophetinnen und Propheten des Alten Testaments ziemlich "starke Typen". Denn schon damals funktionierte es nicht, sich einfach auf dem Stadtplatz hinzustellen und laut loszurufen: "Liebe Leute, so geht es nicht." Damit wird man höchstens ausgelacht, normalerweise nicht einmal gehört. Die Prophetengeschichten der Bibel zeigen rundum kreative Ideen: Da zieht der Prophet Jeremia mit einem Ochsenjoch auf den Schultern durch die Straßen, um für den Frieden zu demonstrieren. Der Prophet Daniel zeigt Stärke und Gottvertrauen im Löwenkäfig. Und der Prophet Jesaja steht splitternackt auf dem Marktplatz und prangert soziale Ungerechtigkeit an.

Geht das nicht in die Richtung vom Festkleben auf der Hauptkreuzung im Straßenverkehr oder Hungerstreik vor dem Reichstag? Ja und Nein. Den Propheten der Bibel ging es darum, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich von Gott entfernt haben und falsche Prioritäten setzen. Propheten und Prophetinnen erscheinen als spirituell feinfühlige Menschen. Sie sind davon überzeugt, dass ihre Botschaft von Gott kommt und sie spüren den klaren Auftrag, diese Botschaft Gottes weiterzugeben.

Oft ausgelacht und vertrieben

Zum Prophetenschicksal gehörte immer schon, dass man von seinem Umfeld überhaupt nicht als Prophet wahrgenommen, sondern im Gegenteil noch ausgelacht oder vertrieben wird, wie "der Prophet im eigenen Land …" Denn die lieben Mitmenschen sind nicht selten beratungsresistent, gestern wie heute.

Das Sympathische am Prophetendasein ist: Propheten sind auch nur Menschen. Also Menschen, wie du und ich. Apropos, vielleicht trifft das Folgende ja auf mich selbst zu? Stellenbeschreibung für einen Propheten, eine Prophetin:

Habe ich einen klaren, kritische Blick auf die Geschehnisse in unserer Zeit?

Habe ich den Mut, Ungerechtigkeiten beim Namen zu nennen?

Fühle ich mich dazu von Gott berufen, die Welt zu einem lebenswerten Ort zu machen?

Dann wäre ja alles bereit für die nächste Prophetin und den nächsten Propheten in der Nachfolge von Miriam, Jeremia und Jesaja.

von Schwester Maria Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB arbeitet in der Ordensleitung des Kloster Grafschaft. Sie pendelt zwischen Deutschland und Jerusalem, wo sie in der Lehre tätig ist. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.

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