Das Ausrufezeichen: Ein Satzzeichen, das für ordentlich Stress sorgt
Grafschaft - Haben Sie auch das Gefühl, angeschrien zu werden, wenn jemand ein Ausrufezeichen nutzt? Das Satzzeichen ist in Verruf geraten, schreibt Schwester Gabriela Zinkl – und das zu Recht. Vielleicht sollten wir öfter mal wieder einen Punkt machen.
Veröffentlicht am 22.04.2024 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Hör! Mir! Zu! – Drei Wörter, drei Ausrufezeichen. Eine simple Botschaft mit klarer Wirkung: Jetzt aber!!! Das ist typisch Ausrufezeichen, es kommt eben nicht so dezent daher wie ein unauffälliges Komma oder ein sachlich nüchterner Punkt. Es SCHREIT uns förmlich an, denn es will Aufmerksamkeit! Das Ausrufezeichen ist ein Phänomen, lange Zeit hatte es Seltenheitswert, doch in den letzten Jahren hat es richtig Karriere gemacht und ist aus vielen dieser unverfänglichen Kurznachrichten nicht mehr wegzudenken.
Dabei ist es im klassischen Bereich der Drucksachen ziemlich verpönt. In den meisten gedruckten Texten, in längeren Schrifterzeugnissen, Aufsätzen, Zeitungsartikeln, Büchern, Doktorarbeiten oder nüchternen Beschreibungen Art kommt es so gut wie gar nicht vor. Man rechnet in dieser Art von Texten nicht mit dem Ausrufezeichen, und es ist dort auch nicht erwünscht, stiehlt es doch seinen intellektuellen Geschwistern, Komma, Punkt und Semikolon die Schau oder bringt sie mindestens aus dem Takt. Zwischen den anderen Satzzeichen ist das Ausrufezeichen der Außenseiter, ein echter Macho oder Punk, der die sonst so spröden Satzgefüge aufwiegelt. Denn dieses Signalzeichen löst vor allem eines aus: Unruhe!
Das Ausrufezeichen steht für den Anspruch des Imperativs, wenn es lautstark poltert: "Auf geht's, los jetzt, beweg' dich!". Es zeigt sich von seiner besten Seite in allen Arten von Aufforderungen, Bitten, Ausrufen, Stimmungsäußerungen, Stakkatosätzen und Ausrufen in der Art von "Hallo, jetzt bin ich dran!" Die Konsequenz dieses Satzzeichens muss jeden Manager beeindrucken: maximale Wirkung bei minimalem Platzbedarf. Wie so oft, steckt auch hier der Teufel im Detail, das Ausrufezeichen ist einfach anders, verdreht, ja fast exotisch. Auf die einen wirkt es wie ein auf den Kopf gestelltes "i", anderen sehen darin einen durchgezogenen Strich mit Unterbrechung. Und immer bringt es Unruhe und Stress. Ja, richtig, ein Ausrufezeichen erzeugt Stress, beim Absender wie beim Adressaten, als Post-it-Zettel auf dem Schreibtisch oder am Kühlschrank. Denn es ruft uns unermüdlich entgegen: "Tu endlich was!!!"
Die Literaturwissenschaftlerin Florence Hazrat (Das Ausrufezeichen: Eine rebellische Geschichte) hat sich jüngst die Mühe gemacht und die Geschichte dieses Satzzeichens untersucht. Sie stellt fest, dass es in der Mitte des 14. Jahrhunderts erstmals in Italien auftauchte und sich trotz oder wegen seiner marktschreierischen Attitüde nur langsam ausbreitete. Salonfähiger und in Schrifttexten häufiger verwendet wurde es erst drei bis vier Jahrhunderte später. Da hatte sich sein ebenfalls um Aufmerksamkeit heischender Kollege, das Fragezeichen, schon längst im Schriftverkehr etabliert. Dem nicht genug, hatte ein französischer Militärstratege die Idee zu einer ganzen Reihe neuer, gefühlsbetonter Satzzeichen. Doch weder der Ironiepunkt, der Liebespunkt, der Befehlspunkt noch der Hasspunkt haben überlebt. Nur das Ausrufezeichen konnte sich durchsetzen und ist aus unserem heutigen Schreib- und Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken.
Neuerdings begegnet es sogar paarweise oder im Rudel. Lautstark brüllend verstärkt es simple Botschaften wie "Super!!!", "Geht doch!!!", "Mach mal!!!" oder "Sag ich doch!!!!!!!!". Deutet das nicht alles auf eine Ausrufzeichen-Manie hin? Tatsächlich stürmen sie von allen Seiten auf uns ein, als Befehle oder marktschreierische Satzfetzen, die Augen und Ohren schmerzen lassen. Das muss an ihrer platzsparenden Aufdringlichkeit des Ausrufezeichens liegen. Es tut nur so unscheinbar, von wegen "weniger ist mehr". In den Timelines unserer sozialen Tummelplätze signalisiert das so inflationär verwendete Ausrufezeichen vor allem eines, "Masse statt Klasse!!!!"
Lenken wir von der Botschaft ab?
Muss das denn sein? Ist unsere Meinung inzwischen so wenig wert, dass wir sie extra hervorheben müssen, mit allem, was wir auf die Schnelle kriegen können? Ist es nicht so, dass so viele Ausrufezeichen hintereinander von der eigentlichen Botschaft oder – noch schlimmer – von fehlenden oder schwachen Argumenten ablenken? Nicht umsonst erlebt das Ausrufezeichen gerade heute so viel Hochkonjunktur. Wir leben in einer Zeit, in der sich viele zwischen Extremen bewegen, nur Schwarz oder nur Weiß sehen wollen, und ihrer Umgebung das noch dazu lautstark mitteilen müssen. Wo bleibt da Raum für all das Leise, Unscheinbare, Graue und die vielen Kleinigkeiten dazwischen? Mit seinem Prahlen und Angeben hat das Ausrufezeichen viele Zwischentöne vernichtet. Wohl deshalb ist es so beliebt bei allen, die das Gefühl haben, nicht ausreichend verstanden oder gehört zu werden, und deshalb den Spieß umdrehen wollen: "Protest! Ich bin dagegen!!!" Das Wofür oder Wogegen spielt dabei nicht immer die wichtigste Rolle, Hauptsache, es ist laut und anders.
In der Schule haben wir mal gelernt, der Ton macht die Musik. Das inflationäre Getöse des Ausrufezeichens klingt nicht unbedingt nach Musik, eher nach Krawall. Vielleicht sollten wir öfters mal wieder – nur – einen Punkt machen. In Sachen Kommunikation, Hetze und Aufwiegelei wäre das bestimmt ein Pluspunkt.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB arbeitet in der Ordensleitung des Kloster Grafschaft. Sie pendelt zwischen Deutschland und Jerusalem, wo sie in der Lehre tätig ist. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.
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