Warum wir niemanden unterschätzen sollten
Grafschaft - Wenn Schwester Gabriela Zinkl Hummeln im Garten entdeckt, ist sie ganz schön fasziniert. Klein, süß und pummelig kommen sie unscheinbar daher. Aber ihre Flugtechnik ist ein wahres Wunder der Natur und sie würden es sogar auf den Mount Everest schaffen – wenn sie denn wollten.
Veröffentlicht am 03.06.2024 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Sie ist klein, dick und rund. Sie ist im Grunde ein unscheinbares braunes Ding, doch manche gehen sogar vor ihr in Deckung, wenn sie in die Nähe kommt. Es geht um die Hummel, die pummelige Schwester der Honigbiene. Das arme kleine Ding, selbst im botanischen Latein hat man ihr einen Namen gegeben, der nicht unbedingt schmeichelnd ist: bombus, das sagt ja wohl alles.
Momentan haben Hummeln Hochsaison. Ich sehe jeden Tag am Rhododendron vor der Haustür, wie sie von Blüte zu Blüte fliegen und Honig sammeln, als wäre es der letzte Tag. Zumindest eines haben sie ihren grazilen Verwandten, den Honigbienen, voraus: sie sind schon frühmorgens und sogar spätabends unterwegs, denn auch Außentemperaturen von unter 10 Grad Celsius machen ihnen nichts aus. Sie sind wie ein kleines Wärmekraftwerk, sie wärmen sich selbst auf durch ihren Flügelschlag und ihr Herumschwirren. Genau diese intensive Flügelbewegung macht das Sagenhafte an den Hummeln aus.
Doch nochmal stopp. Jeder kennt die Geschichte und vermeintlich wissenschaftliche Anekdote, dass Hummeln nach den Gesetzen der Aerodynamik gar in der Lage sind zu fliegen. Rein äußerlich betrachtet leuchtet das jedem ein: Der Rumpf einer Hummel scheint im Vergleich zu ihren winzigen Flügeln viel zu groß, zu moppelig und zu schwer zu sein. Wie kann sie mit ihrer Flügelfläche von nur 0,7 cm² und einem Gewicht von ca 1,2 Gramm trotzdem abheben? Wie kann es sein, dass sie, die doch alles andere als flugtauglich aussieht, leicht und locker von Blüte zu Blüte fliegt, und das mit Geschwindigkeiten bis zu elf Kilometern pro Stunde? Geht das mit rechten Dingen zu? Ist sie vielleicht gedopt?
All das kann uns das sogenannte Hummel-Paradoxon beantworten. Es kam wohl Anfang der 1930er Jahre auf, als sich Studenten in geselliger Runde über genau dieses Thema unterhielten: Ob und warum können Hummeln fliegen, sind sie nicht viel zu schwer? – "Die Hummel weiß das nicht und fliegt trotzdem", lautet eine gängige Antwort. Die Hummel selbst belehrt uns eines Besseren, sie fliegt und das sogar ziemlich geschickt. Das Geheimnis ihrer Flugfähigkeit verbirgt sich in ihren Flügeln. Das vermeintlich aerodynamische Berechnungsmodell der Stammtischrunde von Studenten geht von starren Tragflächen aus. Die Flügel der Hummel sind aber anders, sie sind nicht starr, sondern flexibel und können durch die Bewegung spezielle Wirbel erzeugen, die für zusätzlichen Auftrieb sorgen. Ein britischer Physiker konnte diese Mini-Wirbel experimentell nachweisen. Die Hummel folgt also sehr wohl den Gesetzen der Aerodynamik, sie vollbringt dafür sogar wahre Höchstleistungen. Mit einer Superzeitlupenkamera konnte im Experiment nachgewiesen werden, dass sie ihre Flügel bis zu 200 mal pro Sekunde kreisförmig bewegt, wodurch ein tornadoartiger Luftwirbel entsteht. Damit kann sie mit Leichtigkeit abheben und trägt ihren Namen "kleiner Bomber" also völlig zu Recht, denn ihr eigener Flügelschlag ist es, der einen Tornadoeffekt erzeugt.
Ein Wunder der Natur
Manche dieser kleinen Bomber wurden sogar schon am Mount Everest gesehen, nicht am Gipfel, aber immerhin auf einer Höhe von 5.000 Metern – nur wenige Menschen schaffen es zu Fuß bis dorthin. Bei Tests in speziellen Druckkammern flogen Hummeln sogar noch bei Luftdruckverhältnissen, wie sie in neuntausend Metern Höhe herrschen. Sie könnten also bis zum Mount Everest fliegen, wenn sie wollten. Weil es dort aber keine Blüten mit Nektar gibt, lassen sie es wohl lieber bleiben und summen und brummen in unseren Gefilden.
Wie es sich anhört, wenn eine Hummel herumfliegt, hat der russische Komponist Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908) im berühmten Stück "Hummelflug" aufs Notenblatt gebracht.
Die Hummel fliegt! Der kleine, dicke, runde Brummer hebt ab, und wie. Das sollte uns zu denken geben. Nicht nur, weil es ein Wunder der Natur ist. Sondern, weil wir selber es sind, die die Kleinen, Dicken und Schwachen immer wieder zu Unrecht unterschätzen.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB arbeitet in der Ordensleitung des Kloster Grafschaft. Sie pendelt zwischen Deutschland und Jerusalem, wo sie in der Lehre tätig ist. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.
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