Überraschungen in der Großstadt

Heute schon gegrüßt? Kleine Aufmerksamkeit – große Wirkung

Grafschaft - Geht es für Schwester Gabriela Zinkl, die gebürtig vom Land kommt, in die Großstadt, erwartet sie Hektik, Lärm und Anonymität. Doch bei ihrem letzten Ausflug sollten sie und eine Mitschwester eines Besseren belehrt werden.

Veröffentlicht am 21.05.2024 – 

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Frühmorgens unterwegs in der Großstadt, es ist schon lange hell, doch die wenigen Menschen, denen ich auf der Straße begegne, sind ganz in Eile oder noch verschlafen – im Gegensatz zu meiner jüngeren Mitschwester und mir, die wir heute einen Sightseeing- und Kulturtag vor uns haben und schon in aller Herrgottsfrühe aus den Federn gekrochen sind.

Wir beide kommen vom Land, gebürtig und unserem derzeitigen Wohnort nach, dem Mutterhaus unserer Kongregation im Sauerland. Als wir bei Tagesanbruch unser beschauliches Kloster-Nest verließen, haben wir uns für den Besuch in der Metropole auf die allseits bekannten Klischees eingestellt: viel Verkehr, volle Straßen, Lärm, Hektik, Menschengewimmel wie in einem Ameisenhaufen, über allem herrscht große Anonymität. Doch wir sollten eines Besseren belehrt werden, denn genau das Gegenteil war für uns der prägendste Eindruck am Ende dieses Tages: Mehrmals wurden wir in dieser Stadt nicht nur freundlich begrüßt, sondern von völlig Unbekannten aufmerksam gegrüßt, einfach so, von Menschen, die uns genauso wenig kannten wie wir sie. Da war der Kioskbesitzer, der uns ein schwungvolles "Guten Morgen, Schwestern!" zurief, oder der Obdachlose an der Brücke, der in uns eine Fata Morgana erblickte und voller Respekt "Morgen, ihr Schwestern!" entgegenträllerte. Ein Jogger überholte uns und unterbrach mit einem lächelnden Morgengruß und seitlichen Blick kurz seine Laufroutine, nicht zu vergessen der unbekannte Herr, der sich eigens vom Tisch im Schnellrestaurant erhob, um uns zu grüßen. Natürlich grüßten wir jedes Mal fröhlich zurück und wir beiden Schwestern warfen uns noch einen vielsagenden Blick zu, im Sinne von "Schau mal einer an!"

Fairerweise muss ich dazu sagen, dass nicht wir beiden diejenigen waren, die zuerst grüßten, sondern immer die, die uns begegneten. Einmal stoppte sogar ein Fahrradfahrer neben uns und sprach uns freundlich an. Nicht alle Leute haben uns gegrüßt, das haben wir auch nicht erwartet. Ohnehin ist es in deutschen Großstädten nicht üblich, einander in der Fußgängerzone zu grüßen, selbst wenn man sich das gezielt vornehmen würde, jeden unterwegs zu grüßen, käme man zu nichts anderem mehr. Und dennoch: Die Tatsache, dass uns an diesem Tag gleich mehrere unbekannte Personen so freundlich gegrüßt haben, ist für uns jetzt untrennbar mit dieser Stadt und ihren Orten verbunden – von wegen anonymer Großstadt voller hektischer, unfreundlicher Menschen. Was ich damit sagen will: Ein kleiner, freundlicher Gruß wirkt Wunder. Und wer weiß, vielleicht kann mein unbekanntes Gegenüber mein freundliches Lächeln gerade in diesem Moment gut gebrauchen?

Bild: ©privat (Symbolbild)

Mit einer Mitschwester aus Ägypten ging es für Schwester Gabriela Zinkl nach Frankfurt am Main.

Es gibt tausend Ratgeberseiten, die uns informieren, welche Grußformel für welche Person und welchen Anlass in Geschäftsbriefen oder E-Mails am besten passt oder vielmehr die gewünschte Wirkung erzielt. In Sachen Gruß-Routine auf der Straße oder im Supermarkt einer Großstadt schweigen sie sich aber aus. Natürlich begrüßen wir unsere Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen jeden Tag. Selbstverständlich gibt es in den meisten Firmen und Arbeitsteams das ungeschriebene Gesetz, sich untereinander zu grüßen, im Aufzug, in der Kantine, auf dem Parkplatz, mit Worten, der Hand, einem Nicken oder Lächeln, der Herr vor der Dame, der Angestellte vor dem Chef, der Jüngere vor dem Älteren – oder ganz unkompliziert ohne Rücksicht auf solche Befindlichkeiten. Aber draußen in der großen weiten anonymen Welt? – Dort ist Grüßen nicht üblich, mancherorts sogar verpönt. Auch die Benimmbibel Knigge hält sich dazu eher bedeckt und plädiert grundsätzlich für höfliche Umgangsformen, sprich: nur nicht anpöbeln. Richtig, es geht ja noch viel schlimmer: Ich kann die andere ignorieren, wegschauen, wie Luft behandeln. Kennen wir nicht alle einen oder eine "Ich-grüß-dich-nicht"? Aber halt, wir sollten uns zuerst an die eigene Nase fassen: Ist da jemand nur ausgeschlafen, schlecht gelaunt und kauzig? Oder verhält sich diese Person mir gegenüber bewusst so, berechnend und manipulativ? Wer anderen durch sein ignorantes, nicht-grüßendes Verhalten absichtlich so begegnet, zieht Mauern hoch. Das nennt man Kleinkrieg, denn solche Mauern verhindern, dass man sich weiter in die Augen blicken kann, und sie sorgen dafür, dass Vorurteile und Angst wie Unkraut zu wuchern beginnen. Dagegen hilft nur eines:

"Grüßen öffnet", sagt ein afrikanisches Sprichwort. Wenn ich jemanden grüßen will, muss ich aufmerksam sein, wer da auf mich zukommt. So viel Anstrengung muss schon sein, am Ende wird mein kleiner Gruß für den und die andere aber vielleicht zum großen Geschenk. Lieben wir nicht alle solche schönen Überraschungen? Mein unscheinbarer Gruß kann den anderen verzaubern, zumindest für einen Augenblick, wenn nicht sogar für länger, und genau dieser Augenblick verzaubert und verbindet uns beide. Dazu braucht es wirklich keine großen Gesten und Theater, mein ehrlich gemeintes, freundliches Lächeln, das ich dem oder der Unbekannten schenke, reicht völlig aus. Apropos, die Menschen, die uns an diesem Morgen in der Stadt so freundlich grüßten, hatten eines gemeinsam: Sie hatten kein Handy in der Hand, stattdessen schauten sie freundlich in unsere Augen.

von Schwester Maria Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB arbeitet in der Ordensleitung des Kloster Grafschaft. Sie pendelt zwischen Deutschland und Jerusalem, wo sie in der Lehre tätig ist. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.

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