Wenn die Eltern alt und dement werden
Bonn - Die Veränderungen beginnen meist schleichend, man möchte sie kaum wahrnehmen. Wenn die eigenen Eltern älter werden, beginnt allmählich ein schmerzlicher Prozess des Abschiednehmens. Warum man sich ihm stellen sollte.
Veröffentlicht am 28.10.2024 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Peggy Elfmann und Volker Kitz sind zwei von vielen Millionen Menschen, die erleben mussten, dass ihre Eltern älter und hilfsbedürftiger wurden. Beide haben inspirierende Bücher darüber geschrieben, was sie aus dieser belastenden Lebensphase gelernt haben. Volker Kitz gewährt in seinem literarischen Essay "Alte Eltern. Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt" einen persönlichen Einblick in die letzten Jahre mit seinem demenzkranken Vater. Kitz weiß sich mit seinem Erleben nicht allein; fast siebzehn Million Menschen machten hierzulande die Erfahrung, dass die Eltern alt werden. "'Kommen sie noch zurecht?', fragen wir uns gegenseitig."
Für sein Erleben findet er berührende Worte, etwa für die erste Zeit, als ihn sein Vater noch erkennt. "Aber ich merke, er entfernt sich von mir, wie man in einer Liebesbeziehung manchmal spürt, dass der Partner sich in seine Welt zurückzieht." Von der Illusion, dass alles so bleibt, wie es ist, muss er sich lösen. Zugleich ringt er mit sich. "Welche Zeichen muss ich erkennen, welche Entscheidungen darf ich treffen? Welche muss ich treffen, gegen Vaters Willen? Wie behalte ich Zugang zu ihm, teile Schmerz, Freude, pendle in seine Welt – ohne meine verdorren zu lassen?" Kitz reflektiert über die eigenen Grenzen, über Gefühle von Unzulänglichkeit und Schuld.
Mit dem zunehmendem körperlichen und geistigen Verfall des alten Mannes erlebt der Sohn, "immer zwei Schritte hinterher" zu sein. Es gebe "viel Gelegenheit, die Geduld zu verlieren". Zugleich ist da das Bemühen, der letzten Lebensphase noch ein paar glückliche Momente abzuringen, die Beziehung zu klären – im Wissen, dass "die nächste Gelegenheit zur letzten" werden kann. "Erste Male sind immer eindeutig. Letzte Male nicht."
In der von viel Nähe geprägten Zeit stellt sich der kinderlose Autor aber auch die Frage, wer sich im Alter einmal um ihn kümmern wird. Vielleicht komme es darauf an, "wenigstens einen Menschen zu finden und zu kennen, der Mitgefühl mit uns hat". Möglicherweise bestehe "unsere Lebensaufgabe und Altersvorsorge darin, wenigstens dieses eine Geschöpf zu finden".
Ganz lebensnah nähert sich Peggy Elfmann in ihrem Buch "Meine Eltern werden alt" dem Thema an. Wie bei so vielen Angehörigen habe sich auch bei ihr das Kümmern um Alltagsdinge und Pflegen leise und langsam in ihr Leben geschlichen. Gerade deshalb plädiert die Journalistin dafür, sich rechtzeitig – ohne Druck und Zugzwang – mit den Wünschen und Bedürfnissen von Eltern auseinanderzusetzen, "eben weil noch Zeit ist".
Aus eigener Erfahrung weiß sie: "Über unsere älter werdenden Eltern und das Pflegen fangen wir meist erst dann an zu reden, wenn wir längst mittendrin stecken", wenn Herausforderungen unübersehbar seien. Zugleich sei das Thema Pflege zu komplex und zu groß, um in einen einzigen Gespräch geklärt werden zu können.
Bevor es für das Reden zu spät ist
Elfmann, deren Mutter an Alzheimer erkrankte, räumt ein, selbst den richtigen Zeitpunkt für solche Gespräche verpasst zu haben. Nicht miteinander zu sprechen, halte Veränderungen aber nicht auf, sondern mache den Umgang mit ihnen nur schwerer. Als die Diagnose kam, war es für das Reden zu spät und vieles im Unklaren. "Ich wollte für meine Mama da sein und hatte gleichzeitig große Angst, sie zu verlieren. Wie hätte ich da über Pflegeheime sprechen können? Viel zu groß war meine Sorge, sie könnte denken, ich würde sie abschieben und mich nicht kümmern wollen. Nichts lag mir ferner als das."
Wie kann man dem Thema, das wie ein Elefant im Raum steht, also seine Schwere nehmen? Indem man sich schon sehr früh um eine gute Verbindung mit den Eltern kümmert und sich für sie und ihre Leben interessiert, findet Elfmann – also lange bevor diese gebrechlich und vergesslich werden.
Die Eltern neu kennenlernen
Elfmann hat festgestellt, dass sie als Erwachsene mit eigenem Leben viel zu wenig von deren Lebenswelt und ihrem Alltag wusste; welche Pläne und Ziele sie für die letzten Lebensjahre hatten, wo sie sich gerne aufhielten, welche Menschen ihnen wichtig waren, welche Musik sie liebten. Miteinander schöne Dinge zu erleben – etwa gemeinsam zu kochen, Lieblingsmusik zusammenzustellen, eine Kiste mit Herzensgegenständen zusammenzutragen, sich zu den Lieblingsorten der Eltern führen zu lassen – sorge nebenbei auch für gemeinsame Glücksmomente.
Auf solch einer guten emotionalen Basis sei es dann später auch einfacher, gemeinsam praktische Dinge anzugehen – etwa das Entfernen von Stolperfallen, einen barrierefreien Badumbau oder einen kritischen Blick auf die Fahrtauglichkeit. Auch Themen, die ans Eingemachte gehen – Vollmachten, Patientenverfügung oder Wünsche für das Lebensende – könnten dann leichter angesprochen werden.
Buchtipp
- Volker Kitz: Alte Eltern. Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, 234 Seiten, 23 Euro.
- Peggy Elfmann: Meine Eltern werden alt. 50 Ideen für ein gutes Miteinander, hanserblau, München 2024, 224 Seiten, 20 Euro.
Die verbleibende Zeit mit den Eltern gut gestalten
Pflegebedürftigkeit der alten Eltern, ein möglicher Umzug ins Seniorenheim, die Wünsche für das Lebensende – solche Themen werden in Familien oft zu spät oder gar nicht angesprochen. Die Buchautorin Peggy Elfmann hat eine "Schatztruhe mit 50 Ideen" für ein gutes Miteinander zusammengestellt, das früh gepflegt werden sollte. Hier ein paar Anregungen:
- Von eigenen Bedürfnissen und Wünschen sprechen: Statt von alten Eltern bei Gesprächen sofort fertige Antworten und Lösungen zu erwarten, rät Elfmann, immer wieder eigene Vorstellungen zum Leben im Alter und Pflegebedürftigkeit einfließen zu lassen. Solch eine Brücke könne älteren Menschen helfen, über ihre eigenen Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche in der letzten Lebensphase zu sprechen.
- Die richtigen Fragen stellen: Um mit den Eltern in ein gutes Gespräch zu kommen, ist Offenheit und Neugier wichtig. Fragen wie "Wie geht es Dir wirklich?" oder "Was würde Dir helfen?", können dabei helfen. Statt gleich Ratschläge zu geben oder in Aktionismus zu verfallen, sei Zuhören angesagt. Elfmann zitiert den Ordensmann Anselm Grün: "Wenn ich jemandem einen Ratschlag erteile, stelle ich mich über ihn... Er braucht einen Freund, der erst einmal nur zuhört."
- Die Eltern um Rat fragen: Niemand möchte bevormundet werden. Ältere Menschen verfügen über großes Lebenswissen. Wenn sie dies mit ihren erwachsenen Kindern teilen können, fühlen sie sich geschätzt und gesehen.
- Mamas und Papas Lieblingsorte erkunden: Wer sich von seinen Eltern bei einer Stadt- oder Dorfführung deren Lieblingsplätze zeigen lässt, erlebt nicht nur eine schöne gemeinsame Aktivität. Dadurch bekomme man auch ein Gefühl dafür, was den Eltern wichtig sei und was sie gar nicht mögen, wie und mit wem sie ihre Zeit verbringen, schreibt Elfmann.
- "Herzensgegenstände" sammeln: Das Foto von der ersten Liebe, die Muschel aus dem geliebten Nordseeurlaub, die Porzellanfigur, die an den früheren Hund erinnert – wer solche Dinge mit Mutter und Vater in eine besondere Kiste packt, erfährt Berührendes aus ihrem Leben. Nebenbei entsteht ein Erinnerungsfundus, der hilfreich sein kann, wenn ein Elternteil an Demenz erkranken sollte.
- Erinnerungen festhalten: Über die Sorge um älter werdende Eltern sollte bewusst Zeit für schöne Momente – ein gemeinsamer Ausflug, das Kaffeetrinken im Lieblingskaffee, ein Konzertbesuch – eingeplant werden. Diese kann man auf kleinen Zetteln festhalten und in einem Marmeladenglas sammeln. Es verändere den Blick auf Defizite betagter Menschen, wenn man feststelle: "Nichts ist nur schwarz, sondern da sind auch hellere Momente, und die können Mut machen".
- Eine Reisetasche packen: Weil es im Alter häufiger zu gesundheitlichen Problemen kommen kann, rät Elfmann, mit den Eltern für den Notfall und einen Krankenhausaufenthalt vorsorglich eine Reisetasche mit den wichtigsten Utensilien und Dokumenten zu packen. Gerade im Notfall sei man froh, wenn diese bereits griffbereit sei und in der Eile und Aufregung nicht erst alles zusammengesucht werden müsse.
- Haushaltscheck durchführen: Kommen die Eltern noch mit Stufen und Treppen zurecht? Können sie sich im Dunkeln zurechtfinden? Sind Küche und Bad so gestaltet, dass sie gut ohne fremde Hilfe zurechtkommen? Ein gemeinsamer Rundgang verhilft zu Klarheit und zeigt mögliche Schwachstellen auf.
- Selbstfürsorge: In belastenden Zeiten spielt Selbstfürsorge eine große Rolle. Elfmann empfiehlt unter anderem eine kleine Übung: den Lauf der Wolken beobachten. Dies beruhige die Atmung und trage zu innerer Ruhe bei. Noch effektiver: "die Sorgen auf Wolken zu setzen und zu beobachten, wie sie davonziehen".