Eine kleine Theologie des Unerwarteten

Ein Wildschwein an der Krippe

Grafschaft - Als Schwester Gabriela Zinkl zufällig an einer Krippe vorbeikommt, staunt sie nicht schlecht: Was macht denn da ein Holzschwein neben Ochs und Esel? Als sie genauer darüber nachdenkt, empfindet sie es aber gar nicht mehr als fehl am Platz.

Veröffentlicht am 22.12.2025 – 

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Es war reiner Zufall. Zusammen mit ein paar Mitschwestern war ich im Auto auf dem Heimweg von einer Beerdigung. Als unterwegs ein Wegweiser zu einer Wallfahrtskirche kam, beschlossen wir spontan, dorthin einen Abstecher zu machen. Die Wallfahrtskirche Kohlhagen hielt für uns eine Überraschung bereit, von der wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts ahnten.
 
Kurze Zeit später standen wir Schwestern in der Kirche vor der Weihnachtskrippe. Sie war liebevoll gestaltet mit naturbelassenen Holzfiguren, Stroh und Moos. Alles war von jener stillen Sorgfalt gestaltet, die nicht dekorieren, sondern erzählen will. Die heilige Familie, Hirten, Schafe, Ochs und Esel, ein vertrauter Anblick. Und dann: Was ist denn das? – Mittendrin stand ein Tier, mit dem wir so gar nicht gerechnet hatten: ein kraftstrotzendes Wildschwein! Es war nicht am Rand platziert, sondern in einer Lücke gleich hinter den Königen, sodass es vom Licht um das Jesuskind noch etwas abbekam. So standen meine Schwestern und ich lachend vor der Krippe, bewunderten das Wildschwein und fotografierten es. Ein Schwein an der Krippe sieht man schließlich nicht alle Tage.

Tatsächlich sind Schweine in unseren Weihnachtsdarstellungen und Krippen selten. Ochs und Esel sind gesetzt, obwohl sie im biblischen Text der Geburtsgeschichte nicht ausdrücklich vorkommen, sondern aus Jesaja 1,3 hergeleitet werden: "Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn." Dass bei der Geburt Jesu ein Wildschwein oder Hausschwein zugegen war, fehlt nicht nur im Lukas- und Matthäusevangelium, es kommt auch in der späteren Bild-Tradition so gut wie nicht vor. Und das hat seinen guten Grund.

Die Bedeutung von Schweinen
  
Im Alten Testament ist das Schwein ein meist negativ konnotiertes Tier, in der Thora gilt es als unrein (Lev 11,7), zwar haben Schweine gespaltene Klauen, doch sind sie keine Wiederkäuer und deshalb unreine Tiere. Das Schwein wird zum Anhaltspunkt der Differenz und Abgrenzung für die Identität Israels. Wer Schweine, unreine Tier, isst, überschreitet Grenzen. Und wer Schweine hält, bewegt sich religiös und theologisch auf schwierigem Terrain.

Auch im Neuen Testament bleibt diese Spannung spürbar. Man denke nur an die Dämonenaustreibung von Gerasa (Mk 5), bei der die unreinen Geister in eine Schweineherde fahren, die sich daraufhin in den See stürzt. Oder an den verlorenen Sohn (Lk 15), der so tief gefallen ist, dass er Schweine hütet und ihr Futter begehrt. Das Schwein markiert den Tiefpunkt, den Ort maximaler Entfernung von kultischer Reinheit und sozialer Würde. So ein Schwein, ein Wildschein sogar, steht jetzt an der Krippe. 

Bild: ©stock.adobe.com/schulzfoto (Symbolbild)

Traditionell wird die Krippe mit Ochs und Esel dargestellt

Theologisch gesehen ist Weihnachten mit der Geburt Christi kein schlechter Ort für ein Schwein. Denn die Krippe, die Geburt Jesu selbst, ist bereits eine Provokation. Gott wird Mensch, nicht in einem Palast oder Tempelheiligtum, sondern in einfachsten Verhältnissen, im Hinterzimmer, im Nebenraum oder Stall, dort wo es nach Tier riecht, nach Heu und Körperlichkeit. Die Menschwerdung ist keine saubere Angelegenheit, unsere Mütter können das am besten bestätigen. Wenn es im Johannesevangelium heißt "Und das Wort ist Fleisch geworden" (Joh 1,14), geht es genau darum: nicht um Ideologie, Hochglanz und klinische Sauberkeit, sondern um Menschsein, Körperlichkeit und Verletzlichkeit. Das macht die Geburt Jesu von Anfang an zu einer Grenzüberschreitung: zwischen Himmel und Erde, Reinheit und Schmutz, zwischen Heiligkeit und Alltäglichem. Wenn Gott Mensch wird, kommt er nicht zu einem kleinen Kreis von Auserwählten, Hohen und Mächtigen. Nein, er kommt zu den Hirten mit ihren Schafen, Ziegen, Hunden und anderem mehr. Dorthin, wo auch Schweine existieren und zwar nicht nur am Rand.

Bestimmt ist das Wildschwein an der Krippe der Wallfahrtskirche, übrigens von der Ordensgemeinschaft der Pallottiner betreut, kein theologischer Ausrutscher, sondern ein Statement. Es erinnert daran, dass Weihnachten kein Fest der Auslese ist, sondern der Zumutung. Gott wird dort geboren, wo wir ihn eigentlich nicht erwarten und vielleicht auch nicht haben wollen.

Gott schließt niemanden aus

Es gibt eine deutliche Linie in der christlichen Theologie, die immer wieder betont: Christus kommt nicht für die Gerechten, sondern für die Sünder (Mk 2,17). Weihnachten ist der Anfang dieser Bewegung. Wer also wäre prädestinierter für einen Platz an der Krippe als das Schwein, das biblische Symbol des Ausgeschlossenen, des Unreinen, des Nicht-Dazugehörigen?

So steht das Schwein in der Weihnachtszeit hoffentlich weiterhin jedes Jahr in der Krippe von Kohlhagen und predigt Tag für Tag, ohne Worte. Es erzählt von einem Gott, der alle Unreinheit, alle Fremdheit und Distanz überwindet. Ein liebevoller, liebender Gott, der kein Tier und keinen Menschen aus seiner Nähe ausschließt. Ein Gott, der das Unmögliche möglich macht.

Wer rechnet schon mit einem Schwein in der Krippe?

Wir vielleicht nicht.

Jesus vielleicht schon.

von Schwester Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag. Sie ist promovierte Theologin.