Wie die warme Jahreszeit depressiven Menschen zu schaffen macht
Bonn - Den Winterblues kennen die meisten Menschen. Allerdings sind hierzulande die Suizidraten im Sommer am höchsten; Menschen mit Depressionen fühlen sich mitunter stark belastet. Die Forschung vermutet verschiedene Ursachen.
Veröffentlicht am 08.07.2024 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Kollegen, die einen in den Biergarten mitnehmen wollen; Freundinnen, die meinen, etwas Sonne werde einem gut tun; das eigene Gefühl, bei erblühendem Leben zu versagen, wenn man nur auf dem Sofa sitzen kann: All dies beschreibt der Schriftsteller Till Raether in einem Artikel für das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" als belastend für depressiv erkrankte Menschen.
Im Herbst und Winter werde "der depressive Lifestyle" für einige Wochen zum "Mainstream", so Raether, der selbst von anhaltender depressiver Verstimmung (Dysthymie) betroffen ist. Im Sonnenlicht oder an lauen Sommerabenden spürten Betroffene dagegen umso deutlicher, "wie starr und eingefroren die eigenen Gesichtszüge sind, wie unleicht und unbeweglich und insgesamt einfach nicht vorzeigbar die Seele".
Viele Reize machen den Sommer zur Last
Fehlendes Sonnenlicht, grau in grau, Dauerregen: Bei vielen Menschen leidet das Wohlbefinden an kalten, dunklen Tagen. Doch für einige scheine der Sommer ein größeres Problem zu sein, schrieb kürzlich das Magazin "Psychologie Heute". So seien die Suizidraten hierzulande im Sommer höher als im Winter; saisonale "affektive Störungen" würden auch in der warmen Jahreszeit diagnostiziert. Betroffene litten unter Schlafproblemen, Appetitlosigkeit und Ängstlichkeit – möglicherweise nähmen sie etwa das Sonnenlicht durch erhöhte Reizempfindlichkeit als belastend wahr.
Eine eigene Diagnose "Sommerdepression" gibt es nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention nicht. Im Gegensatz zur "Winterdepression": "Die Ursachen der saisonal abhängigen Depression im Winter sind nicht ganz klar – man geht davon aus, dass der Lichtmangel zum Auftreten einer Depression beiträgt", erklärt Ines Keita, Psychologin und stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung.
Keita bestätigt, dass depressiv erkrankte Menschen in der warmen Jahreszeit häufig eine verstärkte Belastung erleben: "Die Tage werden länger, die Natur erwacht, alle freuen sich über die Sonne, grillen und machen Fahrradtouren." Für Menschen mit Depressionen ist oft beides schlicht unmöglich: sowohl Freude zu empfinden als auch, das Leben aktiv zu genießen.
Wer bemerkt, dass nichts mehr Freude bereitet und die eigene Stimmung über einen längeren Zeitraum gedrückt ist, der sollte hellhörig werden. "Das kann ein Anzeichen für eine Depression sein, insbesondere, wenn weitere Symptome dazukommen", sagt die Psychologin. Dazu zählen etwa Schlaflosigkeit, Appetitverlust, Antriebslosigkeit, Konzentrationsprobleme oder das Empfinden einer großen Hoffnungslosigkeit.
Das Missverständnis, dass es für Depressionen einen äußeren Auslöser brauche, beobachten Fachleute weiterhin. Entscheidend seien zumeist eine genetische Veranlagung oder Traumatisierungen in der frühen Kindheit, etwa durch Missbrauch. Sorgen, die im Sommer verstärkt auftreten – etwa Scham über die eigene Figur am Strand – spielen laut Keita keine Rolle. "In manchen Fällen lässt sich ein Auslöser identifizieren. Das kann eine sondern eine akute Belastungssituation sein, ein Verlust oder eine Überforderung."
Vorurteile halten sich trotz Aufklärung
Wichtig sei, Depressionen als eigenständige Erkrankung ernstzunehmen, erklärt die Expertin. "Depression ist mehr als eine Laune oder Stimmungsschwankung, wie sie zum Leben dazugehört." Das A und O seien Informationen – sowohl für Betroffene selbst als auch für diejenigen in ihrem Umfeld, die sie unterstützen wollten. "Immer wieder Hilfe anbieten, wie zum Beispiel bei einem Arztbesuch mitzukommen – und reagieren, wenn jemand selbst sagt, ich möchte doch mal spazieren gehen", lautet ihr Tipp.
In der Gesellschaft habe sich viel getan, fügt Keita hinzu. Studien wie das Deutschland Barometer Depression, das die Stiftung jährlich erhebt, zeigten jedoch, dass sich Vorurteile hartnäckig hielten. "Wenn jemand einen gebrochenen Arm oder Asthma hat, sagt man der Person nicht: Pack das Leben an, schau nach vorn, wir haben alle mal einen schlechten Tag." Depressiv erkrankten Menschen passiere dies dagegen noch immer. "Insofern braucht es weiterhin Aufklärung."
Hilfe bei Suizidgedanken
Sollten Sie selbst oder Menschen in Ihrem Umfeld Suizidgedanken haben, wenden Sie sich unter 0800-1110111 oder 0800-1110222 umgehend an die kostenlose Telefonseelsorge. Dort erhalten Sie Hilfe.
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