Weit mehr als Kisten-Schleppen und Orga-Kram

Umzug: Auch die Seele braucht Zeit zum Loslassen und Ankommen

Bonn - Aussortieren, Kisten packen, Umzugshelfer finden, die Ummeldung beim Amt – wer umzieht, hat viel um die Ohren. Dabei ist ein Umzug weit mehr als nur der Wechsel von einer Bleibe zur nächsten.

Veröffentlicht am 01.09.2025 – 

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Der Auszug aus dem Elternhaus, der Job in einer anderen Stadt, das Zusammenziehen mit dem Partner, das eigene Haus, später vielleicht der Einzug in eine kleinere Wohnung oder das Pflegeheim – immer wieder ziehen Menschen im Laufe ihres Lebens um. Neben aller vordergründigen Umzugsorganisation hat ein Wohnungswechsel aber auch eine viel tieferliegende Dimension, die beachtet werden will.

Familientherapeutin Heike Nagel unterstützt Menschen bei Lebensübergängen. "Wenn wir einfach nur denken: 'Ich beginn etwas Neues!', verkennen wir, mit welchen Umwälzungen diese Entscheidung einhergehen kann", schreibt sie in ihrem 2022 erschienenen Buch "Übergangsweise". Damit ein Neustart – ob in einer neuen Wohnung oder in einem anderen Lebensabschnitt – gelinge, müsse das Alte zunächst bewusst beendet werden. "Allzu oft beginnen wir einfach etwas Neues, ohne das Alte wirklich abzuschließen" und zu betrauern, beobachtet Nagel, die eine Beratungspraxis in Bad Oeynhausen betreibt.

Unangenehmer Schwebezustand

Bei Lebensumbrüchen beobachtet sie drei Phasen, die aber auch parallel ablaufen können. In der ersten Phase – etwa dem Abschied von der alten Wohnung – gebe es viel zu regeln, etwa zusammenzupacken und auszusortieren, während der Neuanfang "schon seine Fühler" ausstrecke. Physisch am neuen Ort angekommen befinde man sich einer "neutralen Zone". Diese Phase sei oft mit intensiven Gefühlen wie Trauer verbunden: "Das Alte gilt nicht mehr, das Neue greift noch nicht." Obwohl man doch umziehen wollte, fühle man sich am neuen Ort – noch – nicht angekommen und heimisch. Dieser Schwebezustand werde oft als quälend, irritierend und beängstigend empfunden. Statt sie einfach wegzudrücken sollten solche Gefühle zugelassen werden. Wer dieses emotionale Chaos bewusst akzeptiere, dem gelinge der Neuanfang leichter.

Eine Erfahrung, die auch die katholische Autorin Manuela Pfann aus Plochingen in ihren SWR-"Morgengedanken" beschreibt: Sie habe ihren Umzug nicht nur als äußere Veränderung erlebt. "Kisten umzuziehen ist das eine. Aber auch meine Seele muss von einem Ort zum anderen gelangen." Sie habe dafür Zeit gebraucht.

Hilfe vom Familienkater

Geholfen habe ihr dabei der alte Familienkater. Nach dem Umzug zog er sich für eine Woche im Haus zurück und schlief fast nur. In der zweiten Woche habe er sich an die Fenster gesetzt "und einfach nur geschaut und beobachtet". Erst in der dritten Woche habe er vor die Tür gewollt. "Wir haben ihm dann ein Geschirr angelegt, ihn an die Leine genommen und nach und nach mit ihm seinen Radius ums neue Haus herum vergrößert." Dabei seien längst nicht alle Kartons ausgepackt gewesen, und es hätte auch sonst viel zu tun gegeben.

Ausgebremst durch die langsamen Spaziergänge mit dem Tier habe sie gemerkt, wie gut ihr dieses Nichtstun tat und sie dabei auch um ihre alte Bleibe trauern konnte. Sie habe gespürt, dass sie "im Moment gar nicht die Power für mehr" hatte. Im Nachhinein ist Pfann froh, diesen Zwischenzustand ausgehalten zu haben. "Denn genau das ist notwendig, damit die Energie zurückkommen kann", erinnert sich die Autorin. Bald habe der Kater das ganze Quartier erkundet und alleine den Weg zurück in sein neues Zuhause gefunden. Und sie konnte in Ruhe anfangen, "Bilder aufzuhängen und die Nachbarn kennenzulernen".

Bild: ©stock.adobe.com/Beznika (Symbolbild)

Nach einem Umzug kann es lange dauern, bis man sich wieder richtig heimisch fühlt.

Laut Heike Nagel können auch Rituale bei einem Umzug helfen. "Wir haben wenig Rituale in unserer Gesellschaft", beobachtet sie. Dabei bieten sich diese aus ihrer Erfahrung gerade bei einem Umzug an. Klare Rituale zum Abschied von der alten Wohnung und von Nachbarn helfen laut Nagel der Seele. Das können Erinnerungsfotos an die alte Wohnung sein oder auch ein schriftlicher Rückblick, was man alles in seinem alten Zuhause erlebt habe. Begrüßungsgesten am neuen Ort wie ein Fest, das den Neuanfang feiert, erleichtern laut Nagel das Ankommen. "Man kann sich im neuen Zuhause auch jede Woche einen frischen Blumenstrauß gönnen als Zeichen: Ich feiere mein neues Zuhause."

Doch selbst wenn der Abschied von der alten Bleibe geglückt ist – was trägt dazu bei, dass die neuen Räume wirklich zu einem echten Zuhause und Wohlfühlort werden? "Ankommen geschieht durch den Prozess der Aneignung", sagt die österreichische Wohnpsychologin Barbara Perfahl. Wer neu in eine Wohnung oder ein Haus ziehe, müsse die Umgebung so anpassen, "dass sie uns guttut". Dies sei sehr individuell und bedeute für jeden etwas anderes. Das sei gut in einem Mehrparteienhaus mit dem gleichen Wohnungsgrundriss zu sehen – trotzdem sähen die Wohnungen "völlig anders" aus.

Vertrautes kann das Einleben erleichtern

Für Perfahl ist ein Umzug auch "ein guter Anlass, die eigenen Habseligkeiten durchzuschauen und sich zu fragen: Möchte ich das weiter in meinem Umfeld haben, freue ich mich darüber, oder ist es nur noch aus Gewohnheit bei mir?" Zugleich könne es helfen, Vertrautes mitzunehmen – Gegenstände, die von einer Wohnung zur nächsten mitziehen, auch wenn das für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar sei. "Möglicherweise gibt es eine emotionale Verbindung dazu – verbunden mit Erlebnissen, einer bestimmten Zeit oder Menschen."

Wie lange dauert es, bis man im neuen Zuhause angekommen ist? "Das braucht Zeit – beim einen mehr, beim anderen weniger", beobachtet Perfahl. Menschen hätten oft schon ein paar Tage nach dem Einzug das Gefühl: "Das ist jetzt meine neue Wohnung." Die meisten Möbel hätten ihren Platz gefunden, und viele Umzugskisten seien schon ausgepackt. Aber es dauere oft Monate, bis die letzte Lampe hänge oder die letzte Kiste ausgepackt sei. "Die Aneignung braucht Zeit und Energie, und der Alltag nimmt schnell wieder überhand", erklärt die in Linz ansässige Wohnexpertin das Phänomen.

"Viele räumen ihren Räumen wenig Zeit ein", bedauert Perfahl. Sich mit deren Gestaltung zu beschäftigen, ist für sie auch "eine Form der Selbstfürsorge, die viele nicht auf dem Schirm haben". Schließlich sollten Wohnung oder Haus einladend sein und "ein Ort, wo wir auftanken, uns erholen und uns zurückziehen können". Auch die Alltagsrollen und -Masken könnten dort abgelegt werden. "Zuhause kann ich ich sein", das sei ein Teil der Erholung und des Zusichkommens. Für die Wohnpsychologin ist eine Wohnung "so etwas wie unsere dritte Haut". Sie sollte so gestaltet werden, dass sie einem rundum wohltut. Ein Umzug kann dafür ein guter Anlass sein.

von Angelika Prauß (KNA)

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