Im Advent klopft Gott an – das sollten wir auch wieder lernen
Grafschaft - Wann haben Sie das letzte Mal irgendwo angeklopft? Das haben wir mittlerweile verlernt, schreibt Schwester Gabriela Zinkl. Doch im Advent nimmt sogar Gott eine anklopfende Haltung ein.
Veröffentlicht am 15.12.2025 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Wir müssen aufpassen, dass wir das Anklopfen nicht verlernen, denn in unserem Alltag ist es fast aus der Mode gekommen. Kein Wundern, denn viele Türen öffnen sich automatisch, digitale Codes ersetzen Klingeln, und viele Beziehungen bewegen sich irgendwo zwischen kurzer Nachricht und dem schnellen "Ich bin schon drin". Wir leben in einer Zeit, in der man selten fragt, ob man hereinkommen oder zu einer Gesprächsrunde hinzustoßen darf.
Deshalb lohnt sich die Frage: Wann habe ich das letzte wirklich angeklopft? Nicht nur an einer Tür, sondern bei irgendeiner Gelegenheit, bei einer Chance, an meinem eigenen Leben.
Eine kraftvolle Geste
Anklopfen ist in seiner ursprünglichen Form eine erstaunlich kraftvolle Geste. Es bedeutet, dass ich die Grenze des anderen respektiere und gleichzeitig Verbindung suche. Es ist ein feines Gleichgewicht zwischen Nähe und Respekt. Wer anklopft, macht sich bemerkbar, ohne zu überfallen, und zeigt zugleich den Mut, der immer im Risiko der Zurückweisung mitschwingt. Es braucht Mut, um den Finger zu spreizen und mit dem Knöchel an die verschlossene Tür zu klopfen. Fast automatisch hält man in diesem Augenblick die Luft an und versucht, in Richtung Tür zu lauschen, ob von dort ein "Herein" oder "Ja bitte" zu hören ist. Ist jemand zuhause und wird man eingelassen, ist das eine Erlösung von der Ungewissheit, die jedes Anklopfen mit sich bringt. Vielleicht haben wir die alte Geste des Anklopfens deshalb verlernt: Es ist einfacher, wortlos vorbeizugehen oder sich hinter einer schnellen Nachricht zu verstecken, als sich einem möglichen "Nein" auszusetzen.
Anklopfen hat eine Menge mit dem Advent zu tun. Denn in dieser Zeit, besonders in den Lesungen der Gottesdienste in den Wochen des Advents, hören wir, dass ausgerechnet Gott diese Haltung wählt. Dabei könnte Er, der Leben schafft und Himmel öffnet, mühelos jede Tür durchdringen. Gott hätte es nicht nötig anzuklopfen, doch er klopft an. Das biblische Wort "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an" (Offb 3,20) ist kein romantisches Gedöns, sondern Realität. Es zeigt einen Gott, der unsere Freiheit ernst nimmt, nicht mit der Tür ins Haus fällt und Beziehung sucht, ohne sie zu erzwingen.
Im Advent lernen wir, wachsam zu sein.
Vielleicht tut uns gerade diese Haltung heute gut. Denn sie hat etwas unheimlich Schönes: Gott behandelt uns und die Räume unserer Sehnsucht und Erwartung nicht wie einen öffentlichen Durchgangsbereich. Er wartet. Er hofft auf ein Echo. Er wartet auf unsere Antwort. Und damit eröffnet er den eigentlichen Raum des Advents: die Zeit, in der wir lernen, wieder hinzuhören.
Oft denken wir beim Advent zuerst an Lichter, Lieder und den Duft von Gebäck. Doch im Kern ist die Zeit des Advents eine Schulung der Wachsamkeit. Der Advent will unsere Aufmerksamkeit für das leise Anklopfen Gottes. Dieses Klopfen kommt meistens ziemlich unauffällig daher, so sehr, dass wir es oft überhören. Es kann ein Gedanke sein, der uns nicht loslässt, ein Gespräch, das in uns nachklingt, eine Stille, die uns ungewohnt anspricht, oder ein innerer Impuls, der uns sanft aus der Routine hebt. Vielleicht ist es auch eine Idee, die sich neu meldet und zeigt, dass da etwas in Bewegung geraten möchte, was wir vergessen hatten. Advent ist die Zeit, in der wir dieses leise Pochen wieder wahrnehmen lernen, nicht im äußeren Trubel, sondern im inneren Lauschen.
Türen, die wir vermeiden
Advent als Zeit des Anklopfens will uns noch an etwas anderes erinnern: Nicht nur Gott klopft an. Auch wir selbst können anklopfen oder es zumindest versuchen. Oft geht es dabei um Türen, die wir lange gemieden haben. Zum Beispiel die Tür eines Menschen, dem wir etwas schuldig geblieben sind oder mit dem wir Frieden suchen. Die Tür eines Projekts, das schon zu lange wartet. Oder die Tür zur Ruhe und Stille in uns, die wir im Alltag so geschickt umgehen, dass wir sie fast vergessen.
Anklopfen heißt, einen ersten Schritt zu wagen. Kein Anspruch, keine Garantie, nur Präsenz: "Ich bin da. Ich möchte hinhören." Diese Haltung verändert nicht sofort die Welt, aber sie verändert die Atmosphäre und sie öffnet so manche verschlossene Tür.
Die Autorin
Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag. Sie ist promovierte Theologin.