Die paradiesische Stimmung des Friedhofs
Grafschaft - Am Anfang gab es den paradiesischen Garten Eden, schreibt Schwester Gabriela Zinkl. Doch auch am Ende erwartet uns so ein Biotop: der Friedhof. Doch warum ist seine Stimmung immer so besonders?
Veröffentlicht am 11.11.2024 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Am Anfang, ganz am Anfang gab es einen Garten, von Gott für die Menschen gemacht. Der Garten des Anfangs war ein paradiesischer Ort. Bis heute erzählt man sich von seiner friedlichen Atmosphäre, den prächtigen Blumen, Pflanzen und Früchten und dem köstlichen Wasser aus der Quelle des Flusses. In diesem Garten lebten Menschen und Tiere. Die Menschen wandelten durch den Garten, taten ihre Arbeit und ruhten sich aus.
"Dann pflanzte Gott, der HERR, in Eden, im Osten, einen Garten und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte." (Gen 2,8)
Am Ende, ganz am Ende gibt es wieder einen Garten, von uns Menschen füreinander gemacht, für das letzte Stück Weg unserer Lebensreise. Friedhof sagen wir zu diesem Garten, der überall auf der Welt für seine friedliche Atmosphäre bekannt ist. An heißen Tagen spenden seine Bäume Schatten, Blumen machen Toten und Lebenden eine Freude, Tiere genießen die Ruhe dieses besonderen Biotops. Die Menschen wandeln durch diesen Garten, besuchen ihre Lieben an den Gräbern, pflegen die Gräber und Wege, gießen die Blumen und nehmen sich Zeit, zu beten und auf einer Bank auszuruhen.
Jeder Friedhof ist anders
Jeder Friedhof ist so ein friedlicher, paradiesischer Ort; in vielen Städten sind die Friedhöfe und ihre Begräbniskultur Geheimtipps für ruhige Stunden. Normalerweise, denn kurz vor dem und im Monat November geht es auf den Friedhöfen und Totengedenkmalen relativ turbulent zu. Rechtzeitig zu Allerheiligen und Allerseelen, zum Volkstrauertag und Toten- und Ewigkeitssonntag sollen die Gräber und Wege schmuck oder zumindest gepflegt aussehen, stehen sich doch für wenige Tage im Mittelpunkt des Interesses und Gedenkens der Verstorbenen.
Jeder Friedhof überall in der Welt ist ein besonderer Ort. Manche sind beschaulich, manche sind wie ein Park, andere sind bunt und fröhlich gestaltet, wie zum Beispiel in Mexiko. Was wohl den besonderen Frieden und die Stimmung eines Friedhofs ausmacht? – Vielleicht, dass die Toten nicht sprechen, sondern höchstens die steinernen Engelsgestalten an den Gräbern zu uns flüstern. Vielleicht, dass es dort keine Jogger, Fußballkicker oder Picknicks gibt. Vielleicht dass es dort, mit Ausnahme von Beerdigungen, keine laute Musik oder schrille Geräusche, sondern nur sanftes Vogelgezwitscher und Blätterrauschen gibt? Auf jedem Friedhof spürt man etwas sehr Liebesvolles, etwas, das man nicht mit Händen greifen kann und die Zeiten überdauert. Jedes Grab, egal ob neu angelegt oder inzwischen von Moos überwuchert, spricht zu uns von der besonderen Zuwendung und Verbindung der Lebenden mit ihren Toten – außer der Friedhof ist vergammelt oder zerstört worden, was sehr schade ist.
Ich mag das Wort "Friedhof" und Friedhöfe an sich wegen ihrer ruhigen, besonderen Stimmung. Wer sich dort Zeit nimmt und mit den Verstorbenen die Ruhe und Stille des Ortes atmet, der bekommt eine Idee von dem, wie es damals gewesen sein muss, ganz am Anfang in dem Garten, im Paradies, das Gott für uns Menschen gemacht hat. Wie kein anderer Ort auf Erden erzählt uns der Friedhof von diesem paradiesischen Ort des Anfangs, und alles ruht in Gottes Hand.
Dabei hat das deutsche Wort "Friedhof" in seinem Ursprung gar nichts mit dem Frieden zu tun, sondern kommt von "umfrieden" oder "einfrieden", also etwas umgrenzen. Friedhöfe sind "umfriedete" Höfe oder Gelände. Sie haben eine charakteristische Ausstattung an Gräbern, Wegen, Brunnen, Kapellen und Sammelstellen. Zum Schutz der Ruhe der Toten sind sie meistens von einer Mauer oder einem Zaun umgeben, man betritt sie häufig durch ein kunstvoll gestaltetes Tor.
Der Reiz des Ortes
Auch wenn manche darüber gerne Schauermärchen erzählen: Auf Friedhöfen tanzen nachts keine Geister der Toten, treffen sich keine schwarzen Katzen oder zwielichtigen Leute. Der besondere Reiz dieses Ortes sind keine Gespenster, sondern die stille Erinnerung an unsere Verstorbenen. "Die Menschen, deren Namen auf den Grabsteinen stehen, ruhen nicht da unten, sie ruhen da oben, sind erlöst, geborgen und hell. Und das ist der Frieden, der im Friedhof steckt", schreibt Gudrun Sailer, Journalistin in Rom, über ihren Weg zum Gottesdienst, der sie immer über einen Friedhof führt. Als Christen glauben und hoffen wir, dass unsere Toten woanders sind, neu leben, geborgen und in Sicherheit bei Gott, im Paradies, im Garten der Ewigkeit.
Es lohnt sich immer, einen Friedhof zu besuchen, die Namen der Verstorbenen auf den Gräbern zu lesen, an sie und an die mit ihnen verbundenen Menschen zu denken und für sie zu beten. Es ist keine unbedeutende Kultur, wie wir Lebenden unsere Toten ehren. Uns und all die Generationen von Menschen, die vor uns lebten und nach uns kommen werden, verbindet die Hoffnung auf Frieden und das ewige Ruhen bei Gott, wie es im Garten des Anfangs war und am Ende sein wird.
Die Autorin
Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag. Sie ist promovierte Theologin.
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