Schon Salomo kannte den Wert

Ein hörendes Herz: Wer wirklich gut zuhören kann

Grafschaft - Es gibt sie noch: die richtig guten Zuhörer – Papst Leo XIV. soll zum Beispiel einer sein. Im Erwachsenenalter verlieren wir diese Fähigkeit leider oft, schreibt Schwester Gabriela Zinkl. Was aber, wenn wir es mal versuchen?

Veröffentlicht am 16.06.2025 – 

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Jeder kennt so jemanden wie Rosie. Sie ist ein Mensch, der voller Energie und Tatendrang ist, aber mit den Gedanken gleichzeitig immer woanders. Man kann mit ihr viel Spaß haben, nur leider hört sie ihrem Gegenüber nicht wirklich zu, wenn man mit ihr spricht. Vielleicht will sie nicht zuhören, vielleicht kann sie es auch gar nicht, wer weiß. Zum Glück gibt es aber auch Menschen wie Toni oder Michaela, die einem wunderbar zuhören können. Sie sind von vielen als richtig gute Zuhörer geschätzt, gerade weil sie sich auf ihr Gegenüber konzentrieren und einen annehmen, ohne einem danach ihre Kritik oder eigene Meinung aufdrängen zu müssen. Auch über Papst Leo XIV. sagen viele, die ihn von früher kennen, dass er ein besonders guter Zuhörer ist. Tatsächlich sieht man ihm das bei seinen vielen Terminen irgendwie an. Im persönlichen Gespräch scheint er deutlich mehr zuzuhören als lange Reden zu schwingen. Er hinterlässt großen Eindruck, weil er seinem Gegenüber echte Aufmerksamkeit widmet. Das ist heute wirklich etwas Besonderes.

Bin ich selbst denn ein guter Zuhörer, eine gute Zuhörerin? – Zumindest als Kinder waren wir darin alle sehr gut. Etwa, wenn uns abends vor dem Einschlafen ein Märchen oder eine Geschichte vorgelesen wurde, wenn wir bei Oma und Opa waren und uns die etwas von früher erzählten und bestimmt hörten wir auch mehr als gespannt zu, wenn uns im Kindergarten eine Geschichte vorgelesen wurde. Das waren noch Zeiten – richtig, da hatte man Zeit.

Zuhören ist alles andere als einfach

Bei Erwachsenen scheint Zuhören tatsächlich ein Luxus zu sein. Denn zuhören kann nicht jeder. Leider fehlt vielen fürs aufmerksame Zuhören oft genug die Zeit und Geduld. Auch ich selbst muss mich da an die Nase fassen.

Zuhören können und richtig gut hinhören ist eine Tugend und eine Kunst. Und es ist etwas ganz Wichtiges und Wesentliches, wo immer Menschen zusammenleben. Denn es ist doch so: Einander anhören, gut zuhören, den anderen ausreden lassen, ihn nicht ständig mit den eigenen Gedanken unterbrechen – das ist gar nicht so einfach! Und wie oft gelingt uns das Zuhören nicht, die Gründe kennt jeder und jede von uns selbst am besten. Wir können hinhören und weghören, wir können gespannt zuhören, aber auch etwas absichtlich oder unabsichtlich überhören. Wir können ein offenes Ohr für jemanden haben oder uns einfach taub stellen. Wir hören jemandem zu, sind aber nur mit halbem Ohr dabei, weil wir uns in Gedanken schon unsere Antwort oder unser Kontra überlegen. Was der andere wirklich sagt, geht dann mindestens zur Hälfte an unseren Ohren vorbei.

Bild: ©stock.adobe.com/contrastwerkstatt

Zuhören ist gar nicht so einfach, zu oft lassen wir uns ablenken.

Das Problem ist nicht neu. Vor Kurzem haben sich in München aufmerksame Menschen zusammengetan und einen Verein gegründet. Mit ihrem "Zuhörraum" bieten sie einen Ort an, an dem einem zugehört wird. Das kleine hellgrün gestrichene Holzmobil steht vor der Kirche St. Stephan und wirkt sehr einladend, mit warmer Atmosphäre, rund geschwungener Sitzbank und Kaffeemaschine, gerade recht für zwei Personen. Großes Vorbild dafür ist das kleine Mädchen Momo, die Hauptfigur aus dem Roman von Michael Ende.

Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leute plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. (aus: Michael Ende, Momo)

Mehr Menschlichkeit

Inspiriert von Momo nehmen sich ein paar Menschen jeden Tag Zeit, um anderen im "Zuhörraum" ihr Ohr und ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Einfach so. Ohne Nebenabsicht. Für mehr Menschlichkeit. Mit ihrer Idee machen sie auf etwas aufmerksam, das heute so vielen fehlt: Zeit und Zuwendung.

Beides sind Dinge, die man sich nicht erkaufen kann, nicht für alles Geld in der Welt. Zeit und Zuwendung kann man nur schenken, das heißt, man verschenkt es selbst oder man bekommt es von einem aufmerksamen Menschen geschenkt. Beides macht unser Leben erst wirklich lebenswert. Das wusste schon der junge Salomo, der im Alten Testament später als weiser König bekannt wurde. Denn er wünschte als Junge von Gott nichts mehr und nichts weniger als ein hörendes Herz (1 Kön 3,9).

von Schwester Gabriela Zinkl

Die Autorin

Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag. Sie ist promovierte Theologin.

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