Zwischen Ufer und Himmel – warum wir Brücken brauchen
Grafschaft - Brücken in der Bibel? Die gibt es nicht – zumindest nicht aus Stein, Holz oder Beton, schreibt Schwester Gabriela Zinkl. Was hat es damit auf sich? Und wieso rät sie uns, dass wir alle mal Pontifex sein können und sollten?
Veröffentlicht am 08.09.2025 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Es gibt Dinge, die unser Leben einfacher machen: WLAN, morgens eine Tasse heißer Kaffee oder Tee – und Brücken. Ja, Brücken. Ohne Brücken müssten wir an Flüssen stehen bleiben, große Umwege gehen oder im schlimmsten Fall im reißenden Wasser untergehen. Habe ich schon mal überlegt, wie viele Brücken oder unsichtbare Überführungen ich auf meinem Weg zur Arbeit oder zu einem Termin überquere? Eine Brücke sagt: Da drüben wartet jemand oder etwas auf dich – und ich bring dich hin!
Ich erinnere mich an einen alten Holzsteg in meiner Kindheit, genau genommen bestand er nur aus einem langen Brett. Der Steg schwankte, knarrte und hatte Löcher. Jedes Mal, wenn ich ihn überquerte, klopfte mein Herz schneller. Aber er war lang genug, den kleinen Bach zu überqueren, der zu breit war, um ihn mit einem großen Sprung überwinden zu können. Der wacklige Holzsteg hat mich und meine Freunde ans Ziel gebracht und uns nebenbei beigebracht: Wagemut braucht auch eine große Portion Vertrauen. So wie der kleine Steg sind auch die großen Brücken: aufregend, manchmal wacklig, aber sie eröffnen neue Möglichkeiten.
Die Brücken – uralte Sehnsucht
Brücken sind Wunderwerke aus Stein, Beton und Stahl, mit gigantischen Bögen oder filigranen Seilen. Sie tragen Tausende Tonnen Gewicht und können Städte und Länder verbinden. Nicht wenige von ihnen sind spektakulär und beliebte Besuchermagnete, so etwa die Golden Gate Bridge, die Rialtobrücke oder so manche Hängebrücke in den Alpen. Brücken überspannen Flüsse, Täler, Schluchten. Sie sind Zeichen menschlicher Kreativität und Sehnsucht: Da, wo etwas trennt, wollen wir zusammenkommen. Da, wo zwei Punkte unerreichbar sind, wird zwischen ihnen eine Verbindung hergestellt. Wenn ich über eine Hängebrücke gehe oder mit dem Zug oder Auto über große Brücken fahre, habe ich größten Respekt: unter mir die Tiefe, über mir der Himmel. Oder wenn ich in einer Stadt wie Köln die großen Rheinbrücken sehe, die lebendige Pulsadern für Begegnung und Überwindung von Gegensätzen sind. Solche Brücken sind immer auch Anziehungspunkt, auf ihnen ist Tag und Nacht etwas los.
In der Bibel finden wir keine architektonischen Brücken aus Stein. Aber wir finden Menschen, die Brücken sind, allen voran Jesus. Er selbst ist die größte Brücke, denn er verbindet Himmel und Erde, Gott und Mensch, Arm und Reich, Insider und Ausgegrenzte. Jesus selbst ist es, der Brücken baut, denn er geht auf Menschen zu, die am Rand stehen: Zöllner, Frauen, Aussätzige, Verrückte, Fremde. Jesus baut keine Mauern, sondern überwindet sie.
Der wohl größte Brüchenbauer: Jesus.
Von Jesus als dem, der Gräben überwindet, spricht auch Paulus: "Er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile und hat die trennende Wand der Feindschaft niedergerissen" (Eph 2,14). Da, wo früher Abgrenzung war, entsteht Gemeinschaft, eine Brücke der Liebe.
Im Alten Testament gibt es ein Bild oder Symbol, das einer Brücke ganz ähnlich ist: Jakob sieht im Traum die Himmelsleiter (Gen 28,12). Auf ihr steigen Engel auf und nieder. Die Himmelsleiter ist eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Das ist viel mehr als ein Steg, es ist ein Versprechen: Gott lässt uns nicht isoliert zurück.
Brücken bauen – gestern und heute
In Sachen Brückenbau gelten die alten Römer bis heute als Meister der Technik und Kunst, zahlreiche Viadukte aus der Antike existieren und funktionieren bis heute. Im römischen Reich gab es in größeren Städten einen Pontifex, wörtlich: Brückenbauer, der für den Bau und Erhalt der Brücken zuständig war. Die ersten Christen haben dieses Bild und Wort übernommen und es auf den Vorsteher der Gemeinde, den Priester, übertragen: Als Pontifex verbindet er Himmel und Erde. Bis heute hat der Papst den Ehrentitel Pontifex maximus, oberster Brückenbauer. Das sind große Vorbilder, denn jede und jeder von uns kann Pontifex sein, Brückenbauer, Brückenbauerin im Alltag:
- Wenn ich mit jemandem rede, den ich eigentlich nicht verstehe.
- Wenn ich zwischen zwei Menschen oder Gruppen vermittle, die sich anfeinden.
- Wenn ich alle Mut und Überwindung aufbringe, ein "Entschuldigung", "Sorry" oder "Danke" auszusprechen.
Als Ordensschwester merke ich oft: Menschen suchen Brücken. Immer wieder werde ich von Leuten gefragt: Wie passt mein Alltag mit Schule, Uni, Arbeit zu diesem Gott? Wo ist der Übergang? – Da geht es nicht um Hochglanz-Antworten, sondern darum, gemeinsam Stege auszuprobieren. Vielleicht ist ein Gespräch schon eine Brücke. Ein Lied, das ins Herz trifft. Eine Gemeinschaft, die trägt.
Am Ende glaube ich: Gott selbst baut unaufhörlich Brücken zu uns. Durch andere Menschen, durch seine Schöpfung, durch sein Wort. Wir dürfen diese Brücken ruhig vertrauen.
Die Autorin
Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag. Sie ist promovierte Theologin.
Treten Sie der Facebook-Gruppe von Spiritea bei!
Sie wollen sich über Spirituelles oder Tipps für ein gutes Leben mit Gleichgesinnten austauschen? Dann werden Sie Mitglied in der Facebook-Gruppe von Spiritea. Hier finden Sie wegweisende Texte, besinnende Impulse oder inspirierende Videos – Ihre neue Kraftquelle im Alltag.