
Selbstfürsorge ist in anstrengenden Zeiten besonders wichtig
Bonn - Oft weiß man nicht mehr, wo einem in Beruf, Familie und Freizeit der Kopf steht. Um Alltagsbelastungen gut zu bewältigen, ist Selbstfürsorge wichtig. Wie sie in anstrengenden Zeiten gelingen kann.
Veröffentlicht am 15.09.2025 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
"Sei doch nicht so egoistisch" oder "Was sollen denn die anderen denken?" – schon früh wird einem beigebracht, zu funktionieren und auf andere Menschen und deren Wohlergehen zu achten. Sich gut um sich selbst zu kümmern, das haben viele nicht gelernt. Dabei ist Selbstfürsorge wichtig für ein erfülltes Leben. "Das Selbstfürsorge-Buch", herausgegeben von Psychologie-Lektorin Heike Hermann, gibt dafür konkrete Hilfestellung.
Selbstfürsorge bedeutet für Hermann, sich so um sich selbst zu kümmern und für sich einzustehen, "dass ich das Leben führe, das ich mir wünsche, das sich für mich stimmig und erfüllt anfühlt". Dafür gelte es, individuelle Bedürfnisse im Blick zu haben. Der Alltag mache allerdings oftmals einen Strich durch diese Rechnung: "Wir verhalten uns nicht immer so, dass es uns langfristig gut damit geht."
"Neue Pfade einschlagen"
Schließlich bevorzuge das menschliche Gehirn eingefahrene Muster. Dennoch könne es immer wieder dazulernen. Deshalb lohnt es sich für Hermann, "neue Pfade der Selbstfürsorge einzuschlagen, auch wenn sie zunächst holprig, zugewuchert oder noch gar nicht vorgebahnt sein sollten". Beiträge von zehn renommierten Autorinnen und Autoren mit weiterführenden Impulsfragen wollen dabei helfen.
In schwierigen Situationen ist laut Christian Firus ein mitfühlender Umgang mit sich selbst besonders wichtig. "Gerade jetzt ist es notwendig, gut zu sich zu sein", betont der Facharzt für Psychotherapie. Es helfe, sich vor Augen zu führen, wie man mit einem Freund umgehen würde, dem es nicht gut geht: mit Trost und Mitgefühl. Statt sich also selbst als härtester Kritiker für Fehler und Niederlagen abzuwerten und Vorwürfe zu machen, hält es Firus für entscheidend, auch sich selbst gegenüber freundlich zu sein.
"Mögest Du heute etwas Gutes erleben"
Schon ein morgendliches Begrüßungsritual vor dem Spiegel könne dazu beitragen. Oder beim ersten Kaffee ein wohlwollender Satz wie "Mögest Du heute etwas Gutes erleben und es auch wahrnehmen". Ein großer Vorteil: Die einzige Person, die einem rund um die Uhr freundlich und zugewandt sein kann, sei man schließlich selbst.
Zur Selbstfürsorge gehört aber auch, sich wichtigen Lebensthemen nicht zu verschließen: dem Umgang mit Verlusten, Gefühlen wie Angst und Wut, Traumata. So betonen die Paartherapeuten Barbara und Udo Röser im Kapitel "Das innere Kind versorgen", wie man sich auch als erwachsener Mensch nachträglich "beeltern" kann. Aus ihrer Erfahrung können Liebesmangel und -defizite in der Kindheit dafür sorgen, "dass Menschen in ihrer Beziehungsfähigkeit auf der Stufe eines Kindes stehen bleiben", da positive Resonanzerfahrungen fehlten, um zu einer reifen Persönlichkeit heranzuwachsen.

Oft kann es helfen, wenn wir innehalten, um zu überprüfen, ob wir noch auf unserem eigenen Weg sind.
Beide empfehlen eine Übung, um seelische Wunden aus der Kindheit zu lindern und sich selbst die damals vermisste Geborgenheit zu schenken: Dabei sollte man sich selbst als Baby vorstellen, es liebevoll ansehen und wiegen. Die Botschaft der beiden Experten: "Kümmere dich um dich selbst, so wie du es dir von deinen Eltern gewünscht hättest."
Cornelia Dehner wiederum lädt dazu ein, das "Ureigene" im Leben zu finden – und sich treu zu bleiben. Im Alltag gerate das mitunter aus dem Blick, beobachtet die Fachärztin für Psychotherapie. "Es kann auch passieren, dass wir langfristig viel Zeit mit Dingen verbringen, die an unserem eigenen Leben, wie wir es uns wünschen, häufig vorbeigehen." Deshalb gelte es regelmäßig innezuhalten und zu überprüfen, "ob ich mich überhaupt noch auf meinem eigenen Weg befinde". Schließlich sei man nicht auf der Welt, "um die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen".
Bedürfnisse ernst nehmen
Ein Umzug, der Auszug der Kinder, Job- oder Partnerwechsel können laut Dehner ein Anlass zum Innehalten sein, zu ehrlicher Bestandsaufnahme und zum Neujustieren. In Umbruchzeiten gelte es, ein neues Gleichgewicht und innere Stimmigkeit zu finden: "Wenn wir unsere Bedürfnisse nicht ernst nehmen, tun es andere auch nicht."
Entscheidend dafür ist aus Sicht der Expertin, ob ein Mensch sein Potenzial entfalten kann. Dafür müssen mitunter auch alte Denkmuster und Verhaltensweisen hinterfragt werden. Solche Entwicklungsaufgaben brauchen aus Erfahrung der Psychotherapeutin zwar Zeit und Raum, führten aber auch zu dem positiven Erlebnis von Selbstwirksamkeit und einem höheren Selbstwertgefühl. Dennoch sollte man nicht verbissen nach Lösungen schauen; diese entwickelten sich oftmals aus einem Gefühl der Gelassenheit und Entspannung heraus. Eine Haltung, die sich für Dehner lohnt. Denn: "Am Ende seines Lebens will man sich nicht sagen müssen: Alle waren mit meinem Leben zufrieden – nur ich selbst nicht."
Buchtipp
Heike Hermann (Hg.): "Das SelbstfürsorgeBuch. Seelische Belastungen verringern und Wohlbefinden steigern", Patmos, Ostfildern 2025, 188 Seiten, 22 Euro.