
Der Blick in den Himmel: Jeden Morgen ein neues Gemälde
Grafschaft - Wie sieht der Morgenhimmel wohl heute aus? Diese Frage kann man sich wohl täglich stellen, schreibt Schwester Gabriela Zinkl. Daran zeigt sich: Gott schenkt uns die schönen Momente immer wieder – mitten im Alltag.
Veröffentlicht am 06.10.2025 –HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Es gibt diesen magischen Moment am frühen Morgen: Wenn der Himmel noch austestet, welche Farbe er heute tragen möchte. Manchmal ist es ein sanftes Rosa, das aussieht, als hätte jemand über Nacht mit Wasserfarben experimentiert. Dann wieder lodert das Firmament feurig, als stünde die Welt kurz vor einem großen Showauftritt. Es gibt Tage, an denen der Nebel die Landschaft zudeckt, so als hätte Gott die Erde fürsorglich zugedeckt, damit sie noch ein wenig schlafen darf. Und manchmal reicht schon ein einzelner Vogelruf im Halbdunkel nach dem Aufwachen, um zu ahnen: Heute beginnt ein neues Kapitel.
Viel zu oft sind wir morgens um die Uhrzeit des Sonnenaufgangs entweder noch viel zu verschlafen oder schon so sehr mit Morgenroutine beschäftigt, dass wir solche Besonderheiten wie die unterschiedlichen Farben draußen gar nicht wahrnehmen. Dabei gäbe es vor dem Fenster doch jede Menge zu bestaunen. Denn wer genau hinsieht, merkt schnell: Kein Morgen gleicht dem anderen. Nicht einmal derselbe Balkon, dieselbe Straßenkreuzung oder derselbe Weg zur Arbeit. Nein, es gibt jeden Tag eine neue kleine Variante. Jeden Tag hängt Gott für uns ein neues Bild in die große Galerie der Welt. Kostenlos, exklusiv, nur für diesen kleinen Moment. Ein Original, das es in dieser Form noch nie gegeben hat und nie wieder geben wird. Nur heute. Und dieser Moment zum Sonnenaufgang oder kurz danach wartet nur auf mich, dass ich entdecke und wahrnehme.
Eine Predigt mit Licht
Die Menschen zur Zeit des Alten Testament haben diese Erfahrung schon früh in Worte gefasst. Denn bis heute heißt es in den Psalmen:
"Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes." (Ps 19,2)
Es ist, als würden Wolken und Farben Predigten halten, nicht mit Worten, sondern mit Licht. Das Morgenrot sagt: "Fürchte dich nicht, ein neuer Tag ist möglich." Der Sonnenstrahl nach dem Regen flüstert: "Es gibt Trost nach der Traurigkeit." Selbst ein grauer Himmel kann zu uns sprechen: "Auch die Stille hat ihren Wert."

Was verpassen wir alles, wenn wir morgens nicht einen Blick aus dem Fenster wagen?
Okay, man könnte darüber hinwegsehen. Viele tun das. Der Weg zur Schule oder Uni, der morgendliche Stau, die erste E-Mail im Postfach – und schon rauscht das Leben los, bevor mein Auge überhaupt Gelegenheit hatte, kurz in den Himmel zu schauen. Doch genau darin liegt der Schatz: Unser Gott malt keine Bilder im Museum, sondern mitten in unserem Alltag. Zwischen Bushaltestelle und Bäckertüte. Zwischen Kinderwecker und Kaffeetasse.
Und manchmal malt er mit Humor. Wer hat noch nicht eine Wolke entdeckt, die aussieht wie ein Elefant oder eine Hexe auf dem fliegenden Besen? Da darf man ruhig einmal lächeln und sich vorstellen: Vielleicht hat Gott hier ein kleines Augenzwinkern eingebaut, nur um uns daran zu erinnern, dass Freude zum Evangelium dazugehört.
Theologisch gesehen sind diese täglichen Himmelsbilder mehr als kitschiges Gedöns oder Naturromantik. Sie sind sichtbare Spuren der Schöpfungskraft, die nie aufhört.
"Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht." (Gen 1,3)
Dieses erste Licht ist kein einmaliges Ereignis von damals, sondern ein Geschehen, das sich jeden Morgen erneuert. Jeder Sonnenaufgang ist eine kleine Wiederholung der Schöpfung – eine Erinnerung daran, dass das Leben nicht aufgebraucht ist, sondern immer wieder neu geschenkt wird. – Schon mal daran gedacht? Für Menschen in schweren Zeiten kann dieser Blick zum Himmel ein leises Sakrament sein. Kein theologisches Lehrbuch, keine lange Predigt, nur das Gefühl: Da ist ein Licht das stärker ist als die Nacht. Und für die, die gerade leichtfüßig durchs Leben gehen, ist es wie ein farbenfrohes Fest: eine Einladung, das Glück des neuen Tages nicht als selbstverständlich zu nehmen, sondern als Geschenk.
Ein göttlicher Auftrag
Die Kirche kennt für diese Momente ein besonderes Gebet: die Laudes, das Morgenlob. Dort, so zum Beispiel bei uns im Kloster, werden jeden Morgen die Psalmen des Aufbruchs gebetet – gemeinsam mit Vögeln, Wind und Wolken, die ihre eigenen Hymnen beisteuern und von denen in den Psalmen beim Morgengebet oft genug die Rede ist. Aber auch ohne Brevier kann man "Laudes" feiern: indem man still hinschaut, dankt und sich für einen Augenblick vom Himmel anrühren lässt.
Vielleicht liegt gerade in dem Anblick, der uns morgens draußen jeden Tag neu geschenkt wird, eine Art göttlicher Auftrag an uns. Wenn Gott uns jeden Morgen eine neue Leinwand schenkt, wie wäre es, wenn wir selbst den Tag nicht nur füllen, sondern gestalten? Mit kleinen Gesten, die das Leben bunter machen: ein freundliches Wort, ein offenes Ohr, ein spontanes Lächeln. Vielleicht ist das unser individueller Pinselstrich im Bild dieses Tages. – Darum: Halten wir morgens einfach mal einen Moment inne, bevor der Alltag uns packt. Aus dem Fenster blicken – ob auf einen violetten Himmel, ein graues Nebelband oder den ersten Sonnenstrahl. Was wir sehen, ist nicht bloß Wetter. Es ist ein Original-Meisterwerk aus der Malwerkstatt Gottes, gemalt für genau diesen Augenblick.
Die Autorin
Schwester Dr. Gabriela Zinkl SMCB ist Ordensschwester bei den Borromäerinnen und in der Ordensleitung in Kloster Grafschaft. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag. Sie ist promovierte Theologin.
Treten Sie der Facebook-Gruppe von Spiritea bei!
Sie wollen sich über Spirituelles oder Tipps für ein gutes Leben mit Gleichgesinnten austauschen? Dann werden Sie Mitglied in der Facebook-Gruppe von Spiritea. Hier finden Sie wegweisende Texte, besinnende Impulse oder inspirierende Videos – Ihre neue Kraftquelle im Alltag.